Kommerz & Authentizität___Come on, baby, oh yeah, you and I_

groby

Power-User
21 Nov 2005
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groby hat gerade Zeit.

Und da gehen ihm Dinge durch den Kopf, zum Beispiel das, was er selber schrieb vorhin, das ging ungefähr so "Der Vorwurf von Unauthentizität oder Kommerz ist absurd, weil er impliziert, dass der Künstler selber heuchelt, was er da macht, nur um einen breiten Geschmack zu treffen. Warum soll ein Künstler etwas, was ja definitionsgemäß besonders vielen Leuten gefällt, nicht selber authentisch mögen?"

Und dann hörte ich den grauenvollen Mash-Up von sechs Country-Songs den Gurkenpflücker dort verlinkt hat (Brad Paisley-Thread).

Oh, Gott. Eine billigere ScheiĂźe aus musikalischem Malen-Nach-Zahlen und textlichen Abgeschmacktheiten kann man sich ja kaum ausmalen.

Da kann man 6 moderne Country-Pop-Songs gleichzeitig hören und aus allen entsteht ein Schlaglicht-Eindruck der aktuellen Szene. Dieser Eindruck lautet ungefähr so:

Apfelkuchen-Patriotisms über Sommernächte am 4.Juli und Working Class Country Boy Romantik über Tanzen auf der Pickuptruck-Ladefläche, garniert mit Hohl-Phrasen "You and I, Baby" und semantischen Nullstellen aus der "Passt überall rein"-Schublade (gerne als letzte Zeile vorm Refrain "That's what it's all about", "Oh, baby, that's right, yeah" und so).

Und da muss ich meine Ansicht nochmal revidieren:

Kreativität - also der Wunsch, etwas möglichst eigenes zu schaffen und sich dieser Herausforderung zu stellen - ist für mich der Motor des Musikmachens.

Wer aber solche Musik ernsthaft mag, der ist an neuem eher nicht interessiert. Er mag vielleicht eher das Bekannte, Erkennbare, er mag Muster und klare Strukturen, erwartet von Musik pfiffige Unterhaltung aber gerade nichts Herausforderndes, keine Vorbedingungen oder andere kognitive Anforderung. Diese Art von Leuten neigt eher zu bĂĽrgerlichen Berufen und Hobbies, aber selten sind es KĂĽnstler oder Musiker.

Was sind das fĂĽr Leute, die Musik wie die oben genannte machen? Was sind das fĂĽr GrĂĽnde? Kann man das vielleicht doch stellenweise auf Kommerz reduzieren, also Wunsch, vorrangig nicht Musik sondern (mit Musik) Geld zu machen? Sehen sich diese Leute als Musiker oder eher als ErwartungserfĂĽller?

Um es mal deutscher und mit anderen Worten zur Pointe zu bringen: Die Flippers. Verstehen die sich selbst als Musiker oder als Entertainer oder als Schauspieler? Und mögen sie ernsthaft selber was sie da machen?

Oder bin ich da zu hardcore mit meinem Anspruch, Musikschaffen mĂĽsse etwas mehr sein als nur VersatzstĂĽcke zusammenzufĂĽgen?



Nur so nebenbei: Ich finde den Wunsch, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, astrein. Auch mit Musik. Die Frage ist, macht einen das Herausbringen derartig uniform ausgestanzter Klischee-Songs zu einem Musiker?

Und kann man das als Musiker - also jemand den es innerlich zur Musik getrieben hat - in diesem Extrem selber gut finden?
 
groby schrieb:
Kreativität - also der Wunsch, etwas möglichst eigenes zu schaffen und sich dieser Herausforderung zu stellen - ist für mich der Motor des Musikmachens.

Da ist der Knacktus Kasus: FĂĽr Dich! Es gibt eine Menge Musiker, die einfach nur Freude am spielen haben. Der Wunsch etwas eigenes zu schaffen ist keine generelle Vorbedingung zum Musikmachen. Nimm mal alle die tausenden Orchestermusiker, sind das fĂĽr Dich keine Musiker?

Viele GrĂĽsse,
gp

P.S.
Die Frage nach der Authentizität kommt "merkwürdigerweiser" immer erst auf, wenn jemand mit "unanspruchsvoller" Musik Erfolg hat. Kein Mensch unterstellt dem Barsänger in der Kaschemme mangelnde Authentizität.
 
Wer aber solche Musik ernsthaft mag, der ist an neuem eher nicht interessiert
so klischeehaft muss man argumentieren, wenn man noch nicht ernsthaft den Versuch hinter sich gebracht hat, sich von kulturellem Schubladendenken und festgefahrenen Mainstream-Vorurteilen zu befreien.

Ich höre mir nach einem Ornette-Coleman-Free-Jazz-Gewitter oder einer Vernon-Reid-Orgie jedenfalls gern was Herzzerreißendes von Emmylou oder eine Gunfighter-Ballade von Marty Robbins an, um dann für Freddys "Die Gitarre und das Meer" gewappnet zu sein.
 
schorsch27 schrieb:
Ich höre mir nach einem Ornette-Coleman-Free-Jazz-Gewitter oder einer Vernon-Reid-Orgie jedenfalls gern was Herzzerreißendes von Emmylou oder eine Gunfighter-Ballade von Marty Robbins an.

Das ist schön, aber ich würde jetzt deine persönlichen Vorlieben nicht für repräsentativ halten.

Sicher bin ich da sehr verallgemeinernd.

Aber ich denke nicht, dass unter Fans von recht formelhafter Musik (sagen wir Schlager oder moderne Volksmusik) besonders viele Avantgarde- oder Free Jazz-Hörer sitzen. Von Fans strukturell schemenhafter Musik kommt dann doch eher der Vorwurf, diese andere Musik (z.B. moderner Jazz) sei ja eher "Geräusch" oder "Krach" (also wirres Zeug mit für sie nicht erkennbarer oder liebenswerter Ordnung).

Und ich sehe die Vorliebe für strukturell Bekanntes dann auch in anderen Bereichen bestätigt und glaube auch nicht, dass Ornette Coleman oder Vernon Reid Fans in der Literatur zu Rosamunde Pilcher Büchern oder Bastei-Verlag Lassiter Abenteuern neigen.

Wie man diese Vorlieben bewerten will (oder ob man das überhaupt muss) ist eine davon völlig getrennte Sache.

Und "Schubladendenken", mhhh.

Diese Schubladen gibt es. Du hast sie selber in deinem Posting verwendet indem du indirekt zu Grunde legst, Emmylou Harris und Ornette Coleman seien zwei verschiedene davon. Du Schubladendenker, du.
 
Guitarplayer schrieb:
Die Frage nach der Authentizität kommt "merkwürdigerweiser" immer erst auf, wenn jemand mit "unanspruchsvoller" Musik Erfolg hat. Kein Mensch unterstellt dem Barsänger in der Kaschemme mangelnde Authentizität.

Da gebe ich dir vollumfänglich Recht und bringe mal ein Beispiel ein:

Ein quasi Bekannter von mir macht seit vielen Jahren Musik. Auf ihn aufmerksam geworden bin ich ĂĽber YouTube-Videos und MySpace, in denen er mit einem Kollegen poppige, aber seeehr geschmackvolle akustische Musik macht. Gitarre vom Kumpel und seine wirklich unglaublich gute Stimme mit tollen deutschen Texten - ich war sehr schnell total angefixt und beeindruckt.

Erst nach 2-3 Jahren habe ich durch Zufall herausgefunden, dass dieser Mensch sein Geld mit Musik verdient. Nicht etwa mit den schönen Akustik-Songs aus seinem Wohnzimmer, sondern als Sänger in einer der größten deutschen Techno-Bands (nagelt mich jetzt nicht auf das Genre fest) überhaupt. Kategorie ausverkaufte O2-World in GB. YouTube-Klicks auf professionelle Videos im 10-Millionen-Bereich.

Ich konnte das alles nicht glauben - auf der einen Seite diese wirklich schöne akustische Musik - auf der anderen Seite DAS. Die Techno-Musik ist wirklich absolut fürchterlich - ich kenne auch gut gemachten Techno, aber die Band ist echt schlimm (also wirklich wirklich wirklich!!!).

Auf die Frage hin, ob das Geld wirklich so gut ist, dass er sich damit arrangiert, reagierte er ziemlich verständnislos und erklärte mir, dass er den Kram auch gerne macht. Er mag die Musik, es macht ihm viel Spaß und er ist (ja auch irgendwie zurecht) stolz darauf.

Ich glaube, um sowas beurteilen zu können muss man immer die konkreten Macher selber fragen. Die eigenen Geschmackskategorien anbringen ist für die Beantwortung der Frage, wie der Künstler zur Musik steht, genauso dämlich, wie das Pachten des Urteils über guten oder schlechten Geschmack.

Außerdem glaube ich nicht, dass man das Musikbusinnes irgendwie überleben kann, wenn man nicht ein Fitzelchen an Freude an der eigenen Musik hat. Dafür ist das Geschäft viel zu hart und anstrengend. Unabhängig davon, wieviel Geld fließt.
 
groby schrieb:
Wer aber solche Musik ernsthaft mag, der ist an neuem eher nicht interessiert. Er mag vielleicht eher das Bekannte, Erkennbare, er mag Muster und klare Strukturen,

Du beschreibst hier gerade den US-amerikanischen Bible-Belt.

groby schrieb:
Nur so nebenbei: Ich finde den Wunsch, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, astrein. Auch mit Musik. Die Frage ist, macht einen das Herausbringen derartig uniform ausgestanzter Klischee-Songs zu einem Musiker?

Und kann man das als Musiker - also jemand den es innerlich zur Musik getrieben hat - in diesem Extrem selber gut finden?

Wenn man mal versucht hat, mit Musik die heimischen vier Wände zu finanzieren und das täglich Brot,
dann sieht man das alles sehr viel pragmatischer, denke ich.
Man hält sich handwerklich fit dabei, und es ist allemal der bessere Job als bei Aldi an der Kasse Samstags morgens Whiskyflaschen zu scannen.
Davon ab, wer macht so richtig kernig authentisch und kommerzfrei seinen Hauptberuf?

Viele GrĂĽĂźe,
woody
 
Moin,

Eins der wohl tragischsten Beispiele eines "ErwartungserfĂĽllers", der selbst nicht mit der Situation klargekommen ist, war wohl Roy Black. Er hat sich schlieĂźlich das Leben genommen.

Um sich bei Vollplayback mit völlig banalen Melodien und Texten einer Öffentlichkeit zu präsentieren (ständiges Elend bei den vielen Volksmusik Hitparaden Shows, Flippers sind ein gutes Beispiel), kann musikalischer Anspruch m.E. kein Antrieb sein. Hier zählt wohl mehr Geltungssucht und finanzielles Interesse. Wobei....über lange Zeiträume von einer großen Fanbase gehuldigt zu werden, vermittelt eben meistens auch ein tolles Gefühl, hat aber mit musikalischer Schaffenskraft wenig zu tun.

Ich denke, ein Roy Black hat die Situation längere Zeit auch genossen, konnte sich aber irgendwann nicht mehr im Spiegel betrachten und ist gescheitert. Andere sehen halt gar keine Veranlassung in einen Spiegel zu schauen bzw. halten das Publikum und die Produzenten für einen Spiegel.
 
Hier prallen wieder einmal Geschmack und Toleranz auf die Funktion der Musik als Kunst und/oder Hobby vs. Dienstleistung und/oder Beruf.

Nach meiner Erfahrung kann man dabei einige Regelmäßigkeiten feststellen:

- Komplett frei in der Kunst ist der Musiker nur, wenn er in keiner finanziellen Abhängigkeit vom Musikschaffen steht, z.B. als Hobbymusiker oder weil er genug Geld hat

- Die breite Masse des Publikums hat sich relativ wenig mit Musik und Musiktheorie auseinandergesetzt und will einfach nur kosumieren, ohne zu analysieren. Die Songs fĂĽr dieses Publikum mĂĽssen denen bekannt sein, sei es, in dem sie die Lieder schon kennen oder weil der Song sehr an bekannte Songs erinnert

- Wer die Musik als Dienstleister erbringt, hat auch die Verantwortung des Publikums und/oder des Auftraggebers zu erfĂĽllen. Wenn das Publikum Polka will, dann muss es auch Polka geben

- Musik ist eine Kunstform, die nur in angemessener Form vom Zuhörer erfahren werden kann. Ein Kleinkind findet erst einmal auch reine Dur-Akkorde schöner als "Jazzakkorde", so wie es reinen Zucker liebt, komplexe Aromen einer Zartbitterschokolade aber nicht mag

Das Thema ist sehr komplex und nicht zuletzt wird das ja in hunderten Musikhochschulen auch behandelt und erforscht. Ob man "das" jetzt gut oder schlecht findet, hat mit Geschmack und Toleranz zu tun. Auch sehr komplexe Themen.....
 
Nur wer frei von kulturellen Blockaden ist kann kreativ schöpfen.
Das beantwortet fĂĽr mich grobys eingangspost.
 
Je länger ich darüber nachdenke, desto verrückter wirkt dieser Authentizitäts- Anspruch auf mich.
Niemand engagiert einen Schreiner, weil der so authentisch schreinert.
Auf der anderen Seite fordert niemand einen Regalnachfüller bei Edeka auf Parties auf, doch mal ein Regal vollzuräumen, man hätte auch extra für Dosen gesorgt, Erbsen und Möhrchen extrafein.
'Spiel doch mal was, hier ist auch eine Gitarre!', das höre ich schon mal öfter.

Es gibt in der Behandlung von Musikern häufig eine zweifache falsche Unterstellung:
Das es beim Musikmachen immer im Kern um den Musiker geht, und, das Musikmachen so toll ist, das man als Musiker im musikalischen Handeln genug Freude, SelbstwertgefĂĽhl und Nahrung findet.
Zunächst die einfachen Fehler:
Ich mag mich auf Parties auch mal unterhalten/unterhalten lassen.
Musik hören, plaudern und Bier trinken ist nicht notwendiger Weise unattraktiver als Gitarre spielen und den Pausenkasper machen.

Gitarre spielen per se macht nicht satt. Aufmerksamkeit kann man nicht essen.
"Ein tolles Forum/eine tolle Gelegenheit" misst sich auch in harten Zahlen, bezahlten Folgegigs und professionellen Kontakten und Anfragen, und nicht etwa in der transzendentalen Grenzerfahrung der Veranstalter, die das gratis bekommen haben.

Zur Authentizität, der Fall liegt ja ewas subtiler.
Popmusik dreht sich um den Hörer, nicht um den Musiker oder um seine 'Authenzität'.
Wenn hinreichend viele Hörer eine subjektive emotionale Connection zu einem Song aufbauen können, dann ist dieser Song erfolgreich.
Was der Musiker beim Schreiben und Aufnehmen dieses Songs dachte, fühlte und meinte ist erstmal nebensächlich. Ich kenne viele total 'authentische' Songs, (und damit meine ich totsl ernstgemeint, mit intendierter Message und unironisch), die einfach Scheiße sind.
Authentizität ist ein recht diffuses Konzept, was sich der Hörer konstruiert und auf den Künstler projiziert, um sie dann aber vom Künstler einzufordern.

Wie oft habe ich gehört, dass sich Band xy mit ihren ersten kommerziell erfolgreichen Alben "ausverkauft", sich dem Mainstream angenuttet zu haben.
Den Musikern wird vorgeworfen, mit Ihrer Musik Geld verdienen zu wollen,
weil das nicht die hehren Motive sind, die das Publikum gerne ihren Helden zuschreiben will.
Das ist total perfide ScheiĂźe.

Es geht im Kern immer um das Publikum, dessen AnsprĂĽche und Projektionen.
Nicht um den Musiker und seine Authenzität, was immer das auch sein möge.

viele GrĂĽĂźe,
woody
 
Woody schrieb:
Du beschreibst hier gerade den US-amerikanischen Bible-Belt.

Ich bin mir sicher, dass sich das als These voll auf Deutschland anwenden lässt. Nur Details unterscheiden sich.

Wenn man mal versucht hat, mit Musik die heimischen vier Wände zu finanzieren und das täglich Brot,
dann sieht man das alles sehr viel pragmatischer, denke ich.

Klar, aber ob das verwerflich ist oder nicht, darum geht es ja nicht. Es geht ja um "Kommerz" und "unauthentisch" (wenn man diese Begriffe verwenden will) und darum was ein Musiker (unabhängig davon, ob es lukrativ ist) selber mag von dem was er macht.

Dass ein Berufsmusiker sehen muss wo er bleibt und seine Familie ernähren will, steht auf einem anderen Blatt.

Ein Freund von mir hat frĂĽher (als wir noch dumm und ahnungslos waren) auch immer gewettert, dass Musicals-Spielen der Bodensatz der Musik sei. Der Ausverkauf der Musiker-Seele und so.

Jetzt hat er Familie und es stellt sich heraus, dass feste Job-Angebote fĂĽr Jazzmusiker mit Selbstverwirklichungsanspruch selten sind. Also: Starlight Express.

Das ist völlig normal und selbstverständlich. Aber wenn man in doofen Kategorien wie "authentisch" vs. "unauthentisch" denken will, ist das eben künstlerisch letzteres.

(So wie du sagst: Wie fast jeder Beruf in irgendeiner Weise.)
 
Woody schrieb:

Nun, das ist ein allgemeineres Grundsatzproblem, dass sich - fĂĽr mich - aus zwei Aspekten speist.

Das eine ist, dass Musik überall kostenlos erhältlich und verfügbar ist und daher als Ware oder Dienstleitung wenig Wert. Anders als Steuerberatung. Wer für Musik Geld erhofft, tut also etwas Ungewöhnliches und steht fast unter Rechtfertigungsdruck.

Das andere ist, dass man von einem Musiker erwartet, dass Musik für ihn eine freudige Berufung und Passion, nicht Arbeit zu sein hat ("höchstens ein schrulliges Hobby" wie Sven Regner in seinem Radio-Ausfall sagte). Eine Passion der er gerne überall nachgeht. Anders als man das von einem Steuerberater erwartet. Also warum nicht hier auf der Party auch?
 
indem du indirekt zu Grunde legst, Emmylou Harris und Ornette Coleman seien zwei verschiedene davon. Du Schubladendenker, du
...wo Du recht hast ... :-D

Aber zu Deiner Eingangsfrage: wenn man den Begriff "authentisch" einfach mal mit "echt" ĂĽbersetzt, tut man sich leichter.

Wenn man der Legende traut - ich weiß da zu wenig drüber - dürfte der oben erwähnte Roy Black ebenso wenig echt gewesen sein (es gibt frühe Aufnahmen, auf denen er die großen Rock'n Roller imitiert hat) wie der Carlos Santana der letzten sagenwirmal 30 Jahre.

Gänsehaut und Schweiß (wenn ersterer nicht von Kälte und letzterer nicht von körperlicher Anstrengung oder vom Bühnenlicht herrührt) sind ziemlich untrügliche körperliche Anzeichen von Authentizität .
 
groby schrieb:
Kreativität - also der Wunsch, etwas möglichst eigenes zu schaffen und sich dieser Herausforderung zu stellen - ist für mich der Motor des Musikmachens.


Hallo Groby,

der oben zitierte Satz hat mich neugierig gemacht, und das meine ich wirklich ernst.
Kann man denn mal was von Deiner Kreativität hören?

Nochmals ... ich frage das mit allem Respekt! Und ich denke jeder, der
eigene Musik macht, hat sich zwangsläufig mit dem Thema auseinandergesetzt.



Liebe GrĂĽĂźe


HaPe
 
ticemusic schrieb:
der oben zitierte Satz hat mich neugierig gemacht, und das meine ich wirklich ernst.
Kann man denn mal was von Deiner Kreativität hören?

Mein alte Band ist nicht mehr, eine neue ist im Aufbau.

Man könnte im Netz einiges von mir hören, aber das wenigste gibt mir Grund zu Stolz.

Ich wollte auch keineswegs sagen, dass man Anspruch auf hohe Qualität haben muss (was auch immer das bei Musik sein sollte).

Und wenn man nicht gerade Abstrakte Avantgarde macht, gibt es noch die Frage, zu welchem Grade "eigenes" überhaupt möglich ist.

Blues zum Beispiel ist ein abgestecktes, harmonisch enges Format mit gewissen Traditionen und einschränkenden Struktur-Erwartungen.
Ketzerisch könnte man fragen, ob Clapton's "eigenes" weniger "eigen" ist als die vergleichbare Menge an Frank Zappa Songs?

Ich kann das nicht sagen.

Und wenn man meine Worte von da ganz oben streng auslegt und mich selber dran misst, sieht es ĂĽbel fĂĽr mich aus.

Dennoch gibt es einen fĂĽr mich grundlegenden Unterschied im Anspruch, etwas zu machen was ich man selbst erdacht habe (gut oder schlecht) oder dem Anspruch, nur klimpern und nachspielen zu wollen ohne bewusst eigenes "Werk".
 
Lieber groby,

wenn du einen Ton spielst, hat den schonmal jemand gespielt. Die Wahrscheinlichkeit, dass du zwei Töne hintereinander spielst, die noch nie jemand gespielt hat, ist auch gleich Null.

Tucholsky hat einmal geschrieben: Es gibt keinen Neuschnee. Wohin immer du gehst, wirst du Spuren im Schnee finden. Ein sehr verstörender und trauriger Aufsatz. Ich schätze Kurt Tucholsky sehr aber hier hatte er vielleicht Recht doch der damit verbreitete Pessimismus und Missmut ist nicht akzeptabel.

Pack die Gitarre für ein paar Wochen an die Seite, hör keine Musik, geh ins Museum, koch dir was Schönes. Lad den Akku mal wieder auf.

Es kommt nicht darauf an, Musik zu machen, die völlig neu und ungehört ist. Es kommt darauf an, Musik zu machen, die den Zuhörer berührt. Und wenn Mozart die verdammten drei Noten schonmal so angeordnet hat, ist das auch okay.

GruĂź

erniecaster
 
?

Danke, ernie, aber: geht mir gut. Keine Krise oder dergl.

Und ich habe ja schon gesagt, die Idee etwas zu schreiben und es dann "Eigen" oder gar "Neu" zu nennen, ist höchst anfechtbar.

(Schließlich hat Ralph Siegel zum Vorwurf, seine Lieder klingen oft bekannt und untereinander ähnlich, schon gesagt, es gäbe ja nur halt fünf Töne.)

Aber dennoch scheint es mir absurd dass es soviele Leute gibt, die derart schablonenhafte Musik wie die verlinkte machen und die das aus echtem Antrieb so machen (der Vorwurf der "Unauthentizität" impliziert ja, man verstelle sich, z.B. um gefällig zu sein).

Mit einem Vergleich gesprochen meine ich folgendes:

Werden Leute Schriftsteller und sind dann ernsthaft vollkommen erfüllt darin, den Rest ihres Lebens Romane der Reihe "Oberschwester Stefanie" von Bastei zu schreiben (also etwas, was einfach gestaltet ist, einem streng bekannten Muster folgt und wenig individuelle Note oder Eigenausdruck zulässt)?


Das soll kein geschmackliches Werturteil sein und auch kein Vorwurf, dass man Geld verdienen muss.
 
Ich kenne einen möglichem Weg aus diesem sich abzeichnenden Dilemma.* Diesen Spruch hatte ich vor etwa 10 Jahren verinnerlicht:

"Vergleichen macht unglĂĽcklich"


Wenn ein Werk durch Kreativität entsteht, dann lasst es doch einfach mal für sich sprechen ohne Vergleich mit anderen Werken.

______________________________________________________________

*
Das Dilemma: Mich stößt Musik ab, die offensichtlich nur erfolgreich erprobte Standardphrasen aneinanderdengelt ohne kreativen Anspruch und nur mit dem einzigen Zweck des Gelderwerbs. Gleichzeitig kann ich mich selber kreativ nicht sicher erkennbar davon abheben.

Ăśbrigens: mir geht es genauso. Ist mir aber egal. Komme da gut drauf klar. Und wenn die anderen Kohle verdienen - so what. Gibt schlimmere Arten des Gelderwerbs. Mir tun nur gelegentlich die vielen Profimusiker leid, die erfolglos versuchen, mit guter kreativer Musik Geld zu machen. Dann denke ich mir aber, dass die halt zur falschen Zeit den falschen Beruf haben und nicht frĂĽh genug die Zeichen der Zeit erkannten. Somit selber Schuld.
 
groby schrieb:
schorsch27 schrieb:
... recht formelhafter Musik (sagen wir Schlager oder moderne Volksmusik)

...

... strukturell schemenhafter Musik

... Vorliebe fĂĽr strukturell Bekanntes

Unbestritten hat eine Musikform wie Country (oder besser: Country-Pop) viele solche Formeln und Schemata aufzuweisen. Die textlichen hast du angesprochen, musikalische gibt es auch sehr viele.
Aber mir wird immer ein bißchen flau dabei, das an diesem, zugegeben vielleicht besonders deutlichen, Beispiel zu thematisieren. Denn meiner Meinung nach enthalten alle nicht primär improvisatorischen Musikstile diese Formeln, und das nicht zu knapp.
Das gilt fĂĽr den 3-Minuten-Radio-Pop-Song genauso wie fĂĽr Motown, fĂĽr Heavy Metal genauso wie fĂĽr die Toten Hosen, Die Ă„rzte oder Die Brennenden MilchtĂĽten, fĂĽr Blues genauso wie fĂĽr Schlager.
Und das gilt für Musik ebenso wie für Texte. Es geht ja sogar bis zum Bühnendresscode und der Optik der Gitarren. Man könnte sicher auch mit einer mattschwarzen ESP 7saiter Gitarre mit EMGs schönen Country spielen und mit ner Tele Metal. Warum macht es keiner? Soundvorliebe, werden manche argumentieren. Aber die ist eben genauso von Formeln geprägt.

Aber wie Luther schon sagte: "Die Musik ist des Menschen Herzens eine Bewegerin." Den einen bewegt diese, den anderen jene Musik. Und wenn das nicht gespielt ist, sondern echte Empfindung, dann ist es, zumindest beim Hörer, authentisch. Letzten Endes kann das sowieso nur jeder selbst beurteilen.

Was soll also das ganze Gerede darüber? Ich mache die Musik, die mir gefällt. Das genieße ich. Natürlich bin ich kein Ghetto Boy aus Chicago oder Harlem, aber wenn ich Donny Hathaway-Songs spiele, genieße ich das. Das reicht mir. Und ich lasse mir von niemandem erzählen, ob das jetzt authentisch ist oder nicht. Wenn man danach gehen wollte, hätte schon Robert Johnson auf dem Heimweg vom Baumwollfeld den weißen Jungs die Gitarre aus der Hand schlagen müssen, die versucht haben, das zu spielen, was er gespielt hat.
Und wenn ich mit meiner Nachspielband "Atemlos" spiele, weil das gefordert wird, finde ich den Song nicht so prickelnd. Den Gitarrensound und das Spielen an sich kann ich aber immer noch genieĂźen. Nen ganzen Abend solche Songs wollte ich nicht spielen. Aber ein, zwei zwischendurch - kein Problem. Und ich fĂĽhl mich dabei nicht weniger authentisch als bei meinem selbst komponierten Song "Is it true?", der es nur knapp nicht auf ein Tina Turner-Album geschafft hat.
Musik ist immer Imitation, Übernahme, musikalisches Recycling. So wie übrigens auch andere Teile unseres Alltags. Ich habe nicht den Anspruch, in allen Aspekten meines Lebens und jederzeit neues zu sagen, schreiben, fühlen, spielen, denken. Das wäre so anstrengend, dass man nicht älter als 27 werden würde. Scherzmodus aus. Es ist schlicht: unmöglich.
 
Gut gesagt und völlig richtig.

Jede Musikart hat ihre eigenen Klischees und Muster.

Das ist ja das Schöne am In-Cover-Bands-Spielen: Man lernt, wie Genres funktionieren und was da typische Muster und Strukturen sind.

Dennoch glaube ich, dass es Genres gibt, in denen diese Muster enger sind als in anderen oder verschiedene Publikums die gelegentliches Ăśberschreiten dieser Muster unterschiedlich tolerieren.

Ein Dilemma des Musikschreibens ist, dass man etwas zu machen versucht, was einerseits nicht exakt etwas bereits Vorhandenes ist, was andererseits aber auch einem Genre (oder zumindest den eigenen Vorstellungen von harmonischer Ordnung) angemessen ist und dabei auch nicht bemĂĽht oder angestrent klingen soll.

Das ist zumindest meine Erfahrung.




therealmf schrieb:
... bei meinem selbst komponierten Song "Is it true?", der es nur knapp nicht auf ein Tina Turner-Album geschafft hat.

Das klingt nach einer guten Geschichte.

Her damit.
 
Denn meiner Meinung nach enthalten alle nicht primär improvisatorischen Musikstile diese Formeln, und das nicht zu knapp.
ich meine, dass das fĂĽr weite Bereiche der improvisierten Musik noch mehr gilt.

Blues und in weiten Teilen der Jazz machen im Prinzip nichts anderes als große Teile der Countrymusik: man benutzt bekannte und bewährte Schemata als Vorwand dafür, sich instrumental oder stimmlich auszutoben, aber auch um gegen diese Schemata anzustinken, ja sie zu verarschen. Sie haben zudem auch noch den Vorteil, dass man auf diese Art mit vorher unbekannten Musikern jammen kann. Kein Mensch erwartet vom Blues noch Botschaften, trotzdem wird er mit ungebremster Inbrunst gesungen.

Dass Blues und Jazz so funktionieren, dürfte unstrittig sein. Aber es gilt auch für den Bereich Country und Countryverwandtes: Highspeed-Telecaster einigen sich schnell auf "Orange Blossom Special" - nicht weils so ein tolles Lied ist, sondern weils jeder kennt und weils für jedes Instrument die passende Slalomstrecke eingebaut hat. Und wenn die gesamte Clapton-Corona sich jährlich zu ihren Wohltätigkeits-Jam trifft, gibts das countryeske " Lay Down Sally" aus dem gleichen Grund.

Was ich damit sagen will: redet nicht so despektierlich über Klischees. Ohne sie gäbe es auch nicht ihre Opposition und somit keine kreative Musik.

Übrigens gibts in diesem Zusammenhang noch die schöne Country-Schmonzette "Cryin' Time" mit Scofield , der sich endlich mal eine richtige Gitarre gegönnt hat.
https://www.youtube.com/watch?v=Tc-5EDUEoDI
 
groby schrieb:
Kreativität - also der Wunsch, etwas möglichst eigenes zu schaffen und sich dieser Herausforderung zu stellen - ist für mich der Motor des Musikmachens.

Wer aber solche Musik ernsthaft mag, der ist an neuem eher nicht interessiert..... .
Was sind das fĂĽr Leute, die Musik wie die oben genannte machen?..... .

was hast du denn mit und auf deinem Instrument Neues geschaffen? Kannst du uns mal eine Kostprobe geben......?
es geht mir jetzt nicht explizit um spielerisch Neues, sondern um Musik, die etwas wirklich Neues in sich trägt, nicht die Kopie von der Kopie....

Das ist jetzt nicht "bös" gemeint, ich finde bei solchen Diskussionen wichtig, anhand von Beispielen das gemeinte zu verdeutlichen.

Ich fĂĽr meinen Teil kann mit groĂźer Sicherheit sagen, dass ich auch in meinen vielen Songs, die ich geschrieben und aufgezeichnet habe, nie irgendwas Neues geschaffen habe. War auch nie meine Intention. Meine Intention ist, etwas zu machen, was mich in meiner Seele anspricht. Musik ist fĂĽr mich GefĂĽhl und nicht Kopf..... NatĂĽrlich kann man an seinem Repertoire arbeiten, aber den Ausbruch aus gewohnten Strukturen schaffen vielleicht 0,01 % der Kunstschaffenden.

Insofern wĂĽrden mich eigene Beispiele interessieren um fĂĽr mich abzusehen, ob wir von gleichem sprechen......

Immer wieder Neu sind auch der Erfahrungsschatz und die vielen Aha-Erlebnisse, die einem während des Musizierens widerfahren......wenn es (nur) darum ging, gebe ich dir Recht!
 
ollie schrieb:
was hast du denn mit und auf deinem Instrument Neues geschaffen? Kannst du uns mal eine Kostprobe geben......?

Bei mir war es z. B. das Rattlesnake-Swirling und der Neutron-Dive-Drive-Hammer :)
 

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