Review: Hamer USA Newport

G

Gino

Bekanntes Mitglied
27 Nov 2007
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Mit der Hamer Newport habe ich mir einen kleinen Traum erfüllt, was nur aufgrund des Ausverkaufspreises eines hessischen Musikhauses möglich war. Und da diese Instrumente in Deutschland relativ selten sind, es m.W. auch kaum deutschsprachige reviews gibt und zudem die “production models” von Hamer USA Geschichte sind (in New Hartford werden seit der Übernahme durch Fender nur noch custom-Bestellungen gefertigt), habe ich mal einen etwas längeren review geschrieben.
Dass die Hamer USA Gitarren im Hinblick auf Fertigungsqualität und Tonhölzer zur absoluten Weltspitze gehören, ist wohl allgemein bekannt, und das, was dort im letzten Jahrzehnt gefertigt worden ist, stellt wohl auch firmenintern den Höhepunkt dar, auch wenn natürlich die Hamers, die in den 70ern und frühen 80ern gebaut wurden, inzwischen (zurecht!) vintage-Status genießen.
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By nannogino at 2011-08-06
Die Newport ist 1999 als “cross-over”-Gitarre konzipiert worden, und im Laufe der Jahre ist sie in unterschiedlichen Konfigurationen gebaut worden. Diese hier ist die “Ur”-Newport (NEW). Es handelt sich um eine weitestgehend hohle Semiakustik, die lediglich im Bereich der Brücke Verstärkungen aufweist.at 2011-08-06 Der Korpus ist einteilig aus bestem, massiven Honduras-Mahagoni hohlgefräst.
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By nannogino
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By nannogino at 2011-08-06
Dieses Holz ist ja aufgrund von Artenschutz immer seltener, aber Hamer scheint hier noch über üppige Bestände zu verfügen. Der Hals ist aus dem gleichen Holz gebaut, und zwar in der Hamer-typischen, dreiteiligen “stressed-neck”-Weise. Die Decke mit den zwei f-holes kommt in Fichte (!!). An hardware ist ein Bigsby B 5 Vibrato verbaut, von dem aus die Saiten über eine Tonepros tune-o-matic bridge über einen Elfenbeinsattel zu den Schaller-Mechaniken im Grover Imperial-Design geführt werden. Das Griffbrett ist aus “quarter-sawn” rosewood gefertigt. Das finish ist in einem wunderschönen “dark cherry burst” mit einem speziellen Azetat-Lack ausgeführt. Das Logo am headstock und alle Bundmarkierungen sind super-sauber aus echtem Perlmutt gearbeitet. Zur Tonwandlung kommen zwei Seymour Duncan Phat Cat pickups zum Einsatz, die über master volume, master tone und einen Dreiweg-toggle geregelt werden. Die Phat Cat single-coils sind ursprünglich von Seymour Duncan und Hamer “master-mind” Jol Dantzig speziell für diese Gitarre entwickelt worden und erst später allgemein verfügbar gemacht worden. Tonal bewegen sie sich in P-90-Gefilden, haben aber doch einen eigenen (sehr schönen!) Charakter. Vor allem sind sie im Vergleich zu “echten” P90s recht nebengeschräuscharm - vielleicht ist das ja der Metallkappe geschuldet... Hamer hat schon seit den 70ern Potis nach eigenen Spezifikationen fertigen lassen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie über den gesamten Regelbereich musikalisch höchst brauchbar reagieren (das Gegenteil vom “ein/aus”-Effekt...). Das Volumepoti hat darüber hinaus noch eine Besonderheit: Von ca. 9,5 bis Vollgas gibt es noch einmal einen ordentlichen boost - sehr gut für Gitarristen, die ihre sounds mit den Reglern der Gitarre formen.
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By nannogino at 2011-08-06
Rein optisch ist die Gitarre ein Knaller! Es ist unglaublich, wie sauber das (ivoroid-) binding an der Kopfplatte, am Hals und der Oberseite des Korpus ausgeführt ist. Die “nibs”, also die Hochführungen des Halsbindings an die Bundenden, sind absolut unglaublich!! Bei anderen Herstellern, die diese Technik ebenfalls verwenden (am bekanntesten wohl G.....), habe ich so etwas von Präzision noch nicht gesehen. Auch die Qualität der Tonhölzer, von der Maserung her beurteilt, ist über jeden Zweifel erhaben. Die “Amis” sind ja für ihre großkotzigen Werbeslogans bekannt. Im Falle von Hamer USA ist er aber wohl nicht übertrieben: “We don’t have a custom shop, we ARE a custom shop”!
Die Bespielbarkeit war - aus dem Koffer - top notch! Und die Gitarre (ein Modell aus 2006, also “NOS”) hatte wohl die ganze Zeit mehr oder weniger in demselben gelebt! Jedenfalls waren die Saiten angerostet, die Bünde brauchten dringend Stahlwolle und das Griffbrett war ziemlich durstig!! Also die 10er-Saiten runter und meine für Gibson-Mensuren bevorzugten 11er rauf. Stahlstab nachstellen?? Fehlanzeige! Der Hals (übrigens recht kräftig - Hamer nennt das “vintage carve”) “steht” wie eine Eins und liegt prächtig in der Hand. Für jemanden mit kleinen Händen vielleicht ein wenig zuviel des Guten, für mich gerade richtig (wer’s zierlicher will, sollte bei einer Hamer USA dann die “modern carve” bevorzugen).

Wie klingt die Newport?? In einem Guitarplayer review wurde von einer Kreuzung aus einer Gibson ES 335 und einer Gretsch Roc Jet gesprochen. Die Gretsch kenne ich nicht... Aber die Newport hat auf jeden Fall jede Menge “jangle” und “twang”. Beide pickups sind in der Lage (je nach Einstellung am Verstärker bzw. an der Gitarre) den Bereich von warm-jazzig bis Tele-twangig abzudecken, wobei hier natürlich der neck-pup tendenziell fürs Jazzige, der bridge-pup fürs Tele-Twangen zuständig ist. In der Mittelstellung kommt dann das Attribut “chimey” dazu, ebenfalls in allen gefälligen Tonschattierungen (qua Tonblende am amp oder der Gitarre).
Die Phat Cats - im Zusammenspiel mit den Tonhölzern - liefern jede Menge Höhen, ohne allerdings unangenehm schrill zu klingen. Dieser Eindruck verstärkt sich im overdrive-Betrieb. Immer durchsetzungsfähig, immer ganz single-coil komprimieren sie nicht wie humbucker, liefern aber trotz allen Bisses immer auch Schmelz. Vielleicht, weil die Phat Cats mit Alnico 2 Magneten werkeln...?!
Mein Favorit ist ganz klar der Hals-PU! Ich habe (im nicht-Fender-Bereich) meinen ganz persönlichen Hals-PU-Referenzton - zu hören bei Meister Carlton auf dem Album Sleepwalk. Die Nummer heißt “Bluesbird” und wurde mit einer (P-90-) Guild Bluesbird eingespielt. Für mich der Ton zum Niederknien - Gänsehaut pur ! So etwa in die Richtung geht der Hals-PU der Newport. Warm, rauchig, null Matsch mit kernigem Biss. Ein Ton halt, den man mit humbuckern nur selten oder gar nicht hört. Den neck-PU wollte ich ursprünglich schnell gegen einen angemessenen humbucker ersetzen, habe aber erst mal davon Abstand genommen, weil er mir doch auch sehr, sehr gut gefällt. Biss - ja!, Kraft - ja!, Schmelz - ja!, Eierschneider - Nein! Alles in allem ist die Newport eine wunderbare Ergänzung zu meinem übrigen Fuhrpark und macht Sachen, die die andern vier Gitarren nicht können. Prima! Soweit alles mega-“thumbs-up”!!
Okay, wenn ich ganz tief in mich reinhöre, dann ist das Bigsby (für mich) schon gewöhnungsbedürftig. Ich hatte mal eins auf meiner ersten “richtigen” Gitarre, einer 1972er Fender Tele Custom, die ab Werk mit dem Ding kam. Erinnern konnte ich mich noch gut an den “Schmerz im rückwärtigen Bereich” beim Thema Saitenwechsel. Da liebäugle ich momentan mit dem Vibramate String Spoiler... In Sachen Stimmstabilität ist das B 5 sicher auch kein Floyd Rose und auch kein gut eingestelltes Strat Tremolo. Werde wohl demnächst die Mechaniken durch einen Satz Grover Rotogrip locking tuner ersetzen (die passen nämlich ohne Bohrerei...). Auch die Handhabung der Potis und des toggles sind durch das Bigsby etwas gewöhnungsbedürftig. Irgendwie scheint das Ding immer im Weg zu sein... Aber es sieht kultig aus und passt einfach auf die Newport.
Ja, und ich könnte auch gut mit einem zweiten Volume-Poti leben, das ja sonst bei Hamer Standard ist, und ein zweites Tonpoti wäre auch nicht schlecht. Andererseits fehlt mir aber auch bei meiner Tele an der Stelle nicht wirklich was...

Fazit: Eine traumhafte Gitarre in erstklassiger Verarbeitung mit eigenständigem Ton. Und ein Leichtgewicht ohne Kopflastigkeit (ich wußte doch, dass das Bigsby zu irgendwas gut ist...) ist sie obendrein. Auf jeden Fall ein “keeper”!
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By nannogino at 2011-08-06
Zum Schluss noch ein Zitat aus besagtem Guitarplayer review vom Februar 2000 (ĂĽbrigens war die Hamer Newport die erste Gitarre, die beim Guitarplayer die volle Punktzahl - 5 Pleks in allen Bereichen - erzielen konnte!):
“Tonally, the Newport combines some of the best aspects of humbucker and single-coil guitars. Sounding something like a cross between a Gretsch Roc Jet and an ES-335, the Newport is rich and ballsy, but also airy and open. Its cool upper-midrange twanginess lends rockabilly snarl and attitude to clean solos, its distortion tones are fat and greasy, and you can really milk feedback and sustain by finding the sweet spots in front of your amp - even at surprisingly low volumes. A subtle high-end rolloff occurs when you reduce the volume, and the beautifully voiced tone control softens the treble without killing detail. Even with the tone knob at zero, each note speaks clearly. The Newport has the rare ability to cut through a band without a trace of treble bite. Simply put, it yells rather than screams. WHAT A KILLER GUITAR!”
Dem habe ich dann nichts hinzuzufĂĽgen...
 
Riddimkilla schrieb:
Wieder mal kein Bindig in den F-Löchern ... könne die Baumwollpflücker halt nicht ...

Doch, doch, jibbet bzw. jabbet allet gegen Aufpreis.
inzwischen kannst Du Dir Deine Hamer völlig frei konfigurieren - bei entsprechender Portokasse... :)
 

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