chapter schrieb:
Ich find die Gitarre an sich ganz schön cool! Was ist das für ein Modell? Auch klasse, wie du das erdungsproblem gelöst hast
Zu der Gitarre, da sie irgendwie zu gefallen scheint. Es ist eine Ibanez Roadstar II Custom aus den 80ern. Ich habe die Gitarre nie in einem Prospekt oder Katalog von Ibanez gesehen. Erstmalig gedruckt tauchte sie dann plötzlich auf dem G&B-Ibanez-Poster auf. Mysteriös. Es war meine erste E-Gitarre überhaupt, die ich bis zum Schrottzustand verbastelt hatte. Meine Frau hat dann dieses Modell für mich bei ebay ersteigert. Toll! Was ich an der Gitarre so lustig finde, dass der Korpus aus Sperrholz mit Resopal-Oberfläche gefertigt ist und es trotzdem irgendwie gut klingt. Zu bespielen ist die Gitarre auch sehr gut. Wie das gute Stück zu mir kam, habe ich mal - anlässlich eines Geburtstages eines Musikerkollegen - aufgeschrieben. Wen es interessiert, hier der Text in epischer Breite:
Smoke On The Water oder wie ich zu der Ibanez Roadstar II Custom kam...
Kapitel I - Deep Purple - Smoke On The Water
Meine erste Schallplatte war die Sgt. Peppers der Beatles, die ich bei meiner Mutter im Schrank entdeckte und auf Grund des bunten Covers mich zu der Vermutung veranlasste, es könnte ein Hörspiel darauf sein. Flugs das gute Stück geschnappt und in meinem Zimmer mit dem guten alten roten Telefunken-Mono-Vinylhobel bearbeitet. Der ersten Enttäuschung folgte große Begeisterung. Tolle Musik, tolle Typen, geheimnisvolle Texte. Ich war plötzlich Beatles-Fan. Weitere LPs folgten, der Vinylhobel wurde durch einen Universum-Stereo(!)-Plattenspieler ersetzt und fortan lauschte ich andächtig und immerwährend den Kompositionen von Lennon/McCartney. Eine erste aus Lego gebaute Gitarre diente der Unterstützung meiner Ausdruckstänze vor dem Spiegel meiner Schwester.
Die Cousine der Tochter der Freundin meiner Mutter lebte in Hamburg und brachte 1979 Platten von Madness und The Specials mit ins verschlafene Delmenhorst. Ich war sofort infiziert und tanzte Ska mit seltsam zackigen Bewegungen, darauf folgte die Neue Deutsche Welle mit Trio, Foyer des Arts und Fehlfarben (welche in der Delmenhorster Delmehalle aufgetreten sind - damals eine Sensation) und sogar (der liebe Gott möge es mir verzeihen) ein Phase, in der ich die Bravo regelmäßig gelesen habe. Aber ich schweife ab.
Eines Tages also - ich war gerade 14 Jahre alt geworden - besuchte ich wie so oft meinen besten Freund Frank, der mich an diesem Tag überraschender Weise stolz mit einer Gitarre in der Hand begrüßte. Wow! Eine Gitarre? Wie krass ist das denn? Es war zwar nur eine uralte No-Name-Wandergitarre (oder wie wir auch gerne sagten "Konzertocaster"), gekauft im Musikhaus Prunk, welches kurze Zeit später den Betrieb einstellte, aber es war eine Gitarre!
Fasziniert und geradezu ehrfürchtig bestaunte ich das dolle Ding. Das war aber nichts im Vergleich zu dem, was Frank damit anstellen konnte. Er zupfte mit der rechten Hand die mittleren Saiten in gar rockiger Manier: "Däät - - - Däät - - - Däääää - - - Däät - - - Däät - - - Dädäää - - Däät - - - Däät - - - Däääää - - - Dät - - - Dääääää". Gott Gütiger - eine Initialzündung sondergleichen. Ich wusste nicht, was Frank da gespielt hat und ich wusste auch nicht, wie er das gespielt hat. Ich wusste nur, dass ich genau das - und nur das - auch wollte. Und zwar sofort. Frank, der die Griffe von einem Freund gelernt hatte, wusste allerdings auch nicht mehr genau, wie der Titel hieß. Kein Problem, das Kettler-Alurad gesattelt und ab in die Stadt zu ElPie, dem provinziellen Mekka schwarzer Vinylkultur, dessen Pilger durch Bingo (er betreibt heute einen Kiosk) stets auf den richtigen Pfad der kakophonischen Tugend gebracht wurden. Voller Respekt vor dem Delmenhorster Musik-Papst betraten wir mit gesenktem Haupt die Stätte der Glück bringenden Salbung. Frank: "Guten Tag, wir suchen da einen Song, vielleicht kennen Sie den ja? Erm, Dirk, mach mal vor…" Dirk: "Okay, das geht so in der Art wie Däät…" Bingo: "Stop, genug! Jungs, ihr meint Smoke On The Water. Steht bei D wie Diiiiieep Pörpel, nehmt die Made in Japan, die Version ist die Beste." Taschengeld zusammengelegt und ab nach Hause. Platte aufgelegt: "Däät - - - Däät - - - Däääää - - - Däät - - - Däät - - - Dädäää - - Däät - - - Däät - - - Däääää - - - Dät - - - Dääääää". Noch heute laufe ich mit den gedanklich wie von einem Orkan gefönten Haaren durch die Gegend, wenn ich daran denke, wie wir das Intro damals das erste Mal angehört haben. Gigantisch gut war das und ist es immer noch … wie ich finde.
Kapitel II - AC/DC - Rising Power
Dem oben genannten Erlebnis folgten weitere, in ihrer kurzeitigen Wucht deutlich weniger prägnante, aber nicht minder nachhaltige musikalische Erlebnisse. Sei es das erste Hippie-Open-Air in Bruchhausen-Vilsen (viel Alkohol, wenig Schlaf) oder Rocknächte in der Delmenhorster Villa (viel Nikotin, viel Alkohol, wenig Schlaf) oder das allererste Konzert mit meiner Band "Scheiße hoch drei und die Notenquäler" (kein Witz, wir nannten uns tatsächlich und zu Recht genauso).
Nach meiner rockmusikalischen Bekehrung durch Deep Purples Smoke On The Water waren also den lauten, rockigen Gitarren Tür und Tor geöffnet. Nichts hat mich aber in der Art begeistert, wie es AC/DC mit der ersten von mir gekauften aktuellen Scheibe getan haben. "Flick Of The Witch" (April 1983) nannte sich das gute Stück. Gleich der Opener "Rising Power" fand sich zum einen im Musikhaus Spula als Tabulatur wieder (man konnte dort Einzeltitel-Tabs als Kopie kaufen - ich hatte ja nur ein bisschen Taschengeld) und zum anderen erkannte ich erneut meine Grenzen: spielerisch, gedanklich und motorisch. Wie sollte ein normaler nicht-Gott-gleicher Mensch das spielen?
Eine technische Lösung musste her: Mehrspurtechnik! Wow! Wir haben mit mehreren Kassetten-Rekordern die Möglichkeiten der Mehrspurtechnik auf für damalige Zeiten sicherlich schwindelerregende Höhen geführt. Jeder Akkord bestand aus drei Tönen, die selbigen gleichzeitig zu greifen und gar noch zu wechseln uns nicht nur unmöglich erschien, sondern auch absolut unmöglich war. Also: Zeigefinger, E-Saite, 8ter Bund, Tape 1 Aufnahme Start, Plöng, Tape 1 Aufnahme Stop. Nächster Ton: Zeigefinger, A-Saite, 10ter Bund, Tape 1 Aufnahme von eben Abspielen, Tape 2 Aufnahme Start, Plöng, Tape 2 Aufnahme Stop, Tape 2 Aufnahme von eben Abspielen Stop.
Es hat gefühlte Jahre gebraucht, bis wir alle Punkte (= Töne) der Tabulatur mit dieser Methode unter Auslotung der Grenzen von Disharmonie und Polyrhythmik zu Magnetband gebracht hatten.
Kapitel III - Survivor - Slander
Mit der Zeit und tage- und nächtelanger Übung gingen einfache Rockakkorde (oder auch Powerchords) etwas flüssiger von der Hand. Es war weit entfernt von gut oder gar rhythmisch, aber man konnte bei Konzerten von anderen Schülerbands schon mal mit verschränkten Armen vor der Bühne stehen und die Karriere als Musikpolizist in Angriff nehmen. Was mir aber zu meinem uneingeschränkten Glück fehlte, war eine E-Gitarre Nachdem meine Versuche mit der Konzertocaster und einem Mikro an Omas Röhrenradio ein Rockstar-adäquates Inferno auszulösen kläglich gescheitert waren, konnte also nur eine echte E-Gitarre die Lösung (all) meiner Probleme sein. Als ich meinen Eltern meinen sehnsüchtigen Wunsch offenbarte, merkte ich, dass totale Begeisterung für das kulturelle und künstlerische Interesse des Sprösslings anders aussieht. Für mich nicht nachvollziehbar, so waren meine Eltern doch eher uninteressiert, gar ablehnend. Selbst mein Angebot, ihnen hier und jetzt mit einem schriftlichen und somit verbindlichen Vertrag 50% der anstehenden Tantiemen zu überlassen, sorgte nicht für die erwartete Begeisterung. Warum? Ich verstehe es bis heute nicht ;-) Nun gut, meine Eltern sind keine Unmenschen und sie waren sich einig, dass ich mir das Geld für das Instrument erarbeiten sollte. "Arbeit? Hallo? Ich bin ein kommender Rockstar!" Viele Rockstars haben in ihrer Karriere Dreck gefressen, warum nicht auch ich? Wochen später: Osterferien in Niedersachsen. Mein Vater hat mir einen Job auf der Bremer Rolandwerft (in Ganspe) besorgt. Eine neue für mich gänzlich unbekannte und verstörende Welt eröffnete sich mir, als mich der Meister Arthur, in dessen Obhut ich zwei Wochen lang Einschraubverschraubungen sortieren durfte, am ersten Tag mit den Worten "Na Jörg, schon mal ***** geleckt…?" begrüßte. Okay, ich hatte dieses Wort schon mal gehört, aber in dieser deutlichen und geradeheraus freundlichen Ansprache in Verbindung mit einer Begrüßung bisher noch nicht erlebt. Und nebenbei "Ich heiße Dirk.” "Als klor mien Jong! So Jörg, Du sortierst hier jetzt mal die Einschraubverschraubungen, um zwölf ist Mittach und wenn was ist, frag nicht, mach einfach…"
Weise Worte, in hanseatischer Präzision gelassen ausgesprochen. Neben Frank und meiner Konzertocaster war das mobile Kassettenabspielgerät mein bester Freund. Rund um die Uhr, zu jeder Zeit und Gelegenheit dröhnte ich mir den Schädel damit zu. Je lauter, je lieber. AC/DC im Wechsel mit AC/DC, ggf. auch mal AC/DC, AC/DC, AC/DC oder auch Deep Purple. Die 80er waren die 80er und die 80er waren die Zeit der Fönfrisuren. Ich selbst blieb diesem Trend glücklicherweise fern, wenn auch Bands deren Musiker dieser Geschmacksverirrung f(r)ö(h)nten bei mir und meinem Kumpel Walkman an Beliebtheit gewannen. Womit ich nun endlich nach langer aber notwendiger Vorrede bei Song Nr. drei angekommen wäre: Slander von Survivor. Galten Survivor sicherlich zu keiner Zeit als die Hüter des Grals anspruchsvoller Rockmusik, hatten diese zudem mit Eye Of The Tiger einen Hit, der das restliche Machwerk der Amerikaner per se mit dem wenig positiv behafteten Mainstream-Stempel versah. Egal. Slander beginnt mit einem stampfenden Schlagzeug und einem einfachen aber prägnanten Gitarren-Riff. Dazu der pumpende Bass usw. Alles nicht unbedingt spektakulär aber absolut zeitnah. Während ich also meine Einschraubverschraubungen sortierte und mir immer wieder der Frage stellte, ob ich auf die herzhafte Begrüßung des Meisters irgendwie cooler (so in dem Stil: "Klar Arthur, täglich fünf zum Frühstück…") oder gepflegter ("Bitte mäßigen Sie Ihre Ausdrucksweise, Herr Claussen!") hätte reagieren können, dudelte im Endlosband (C-90 [natürlich Chrom, nicht Ferro] und den Song so oft aufgenommen, bis eine Seite voll war) insbesondere das Gitarrensolo. Wenn ich Slander heute höre, dann muss ich mit Erschrecken feststellen, dass sich Phrasierungen und tonales Spektrum dermaßen auf meiner saitenakrobatischen Finger-Hirn-Festplatte eingebrannt haben, dass ich es fast 30 Jahre später noch immer nicht lassen kann, in ähnlicher Art und Weise rumzugniedeln. Nach zwei Wochen Schufterei bekam ich 1.000,00 DM auf mein Konto überwiesen und kaufte mir davon meine erste E-Gitarre (besagte Ibanez Roadstar Custom) und einen Verstärker (Roland Jazz Chorus 50). Das war im Grunde totaler Mumpitz, aber ich hatte keine Ahnung und der Verkäufer keine Skrupel mir die Sachen völlig überteuert anzudrehen. Glücklich war ich damit trotzdem. "Släääääänder, like a knife in my heart…".