Mein Lieblingsakkord. Gestatten: Norbert

E

erniecaster

Power-User
19 Dez 2008
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Tag zusammen.

Heute möchte ich euch meinen absoluten Lieblings-Akkord vorstellen. Ihr kennt ihn alle, ich möchte mich aber mit euch gemeinsam mehr mit ihm beschäftigen.

Hier erst einmal die Spielweise, in Tabulaturschrift: XXXXXX. Kurz gesagt, alle Saiten abdämpfen und alle Saiten anschlagen. Da ja ein Grundton fehlt – wir haben ja überhaupt keine richtigen Töne – und das Kind einen Namen haben muss, habe ich ihn Norbert getauft.

Norbert ist toll aber schwierig zu spielen. Zu viel Druck bei einer gut eingestellten Gitarre und es ertönt schon wieder ein ungewollter Ton. Zu wenig Druck bei einer lebhaften Gitarre führt eventuell zu einem ungewollten Oberton. Was wir wollen, ist aber kein Ton, sondern ein perkussives Geräusch.

Norbert lässt sich in der ersten Lage spielen, aber auch in jeder anderen. Spiele ich Norbert weit oben am Hals, hat das Geräusch eine andere Höhe als in der ersten Lage. Alleine damit lässt sich schon rhythmisch arbeiten, wenn man das berücksichtigt. Wirft man Norbert zwischen zwei normale Akkorde, die sich in unterschiedlichen Lagen befinden, muss man überlegen ob er nun tief oder hoch klingen soll oder abwechselnd tief oder hoch.

Je nach Geschwindigkeit des Durchschlagens der Saite kann Norbert sogar unterschiedliche Notenwerte, sprich Geräuschlängen haben. Und Norbert kann man auch nur auf fünf, vier, drei, zwei oder gar nur einer Saite spielen. Alles klingt etwas anders und macht tatsächlich auch einen Unterschied.

Da sich das alles irgendwie nach Satire liest, möchte ich an dieser Stelle betonen, dass ich das absolut ernst meine und für eine wesentliche Bereicherung des Gitarrenspiels halte, insbesondere in kleinen Formationen und erst recht bei akustischen Gitarren. Im Zusammenspiel mit einem Klavier ohne jemanden an Percussion, Cajon oder Schlagzeug kann Norbert plötzlich Groove und Schmutz bringen.

Im Zusammenspiel mit einem Cajon oder Schlagzeuger wird es noch einmal spannend. Spiele ich Norbert gemeinsam mit einem Beat des Drummers oder lasse ich dem Drummer Luft? Und wenn der Drummer Norbert schätzen gelernt hat, lässt er vielleicht einen Beat aus und da wird nur Norbert gespielt. Ausprobieren, das macht einen Unterschied.

Nochmal: Kein Witz, kein Scherz, keine Satire. Gut, der Name Norbert ist entstanden, als in einer Formation Akkorde notiert werden sollten und es gibt nun mal keinen Akkord mit dem Buchstaben N, so wie ich weiĂź.

Probiert Norbert aus und berichtet!

GruĂź

erniecaster




P.S. Die Annahme, dass ich Norbert so häufig einsetze, weil ich nicht so schnell Akkorde umgreifen kann, ist eine unbestätigte Spekulation!
 
Norbert ist ein innovativer Name fĂĽr Nix :-D
Ja, fĂĽr komplexere Rythmen wirklich ein taugliches Mittel um einen Groove zu beleben.
Der muss nicht mal über alle Saiten sein. Auch während einem Solo kann man dead notes ääh Norberts über 1-3 Saiten einstreuen um mehr Dynamik und Groove zu erzeugen.
Bei Chords dämpfe ich mit der linken Hand am Hals - bei Solis dämpfe ich mit dem rechten Handballen.
 
Norbert animiert meinen Softwarebassisten immer zu eigenartigen AusflĂĽgen. :-D
 
Bei Dir heißt er also Norbert? Ich kenne ihn schon seit Ewigkeiten unter dem Namen Chck (wie in Chuck Norris, bloß ohne Vokal). Ich mag ihn auch sehr. Meine früheste Erinnerung an Chck reicht knapp 40 Jahre zurück, als ich zum ersten Mal Hendrix' "Voodoo Chile (Slight Return)" gehört habe (das Wah wurde ja schon erwähnt). Chck war mir auf Anhieb sympathisch, und ich arbeite oft und gern mit ihm. Manchmal, wenn ich so rumklimpere, improvisiere ich lange Passagen ausschließlich mit Chck in möglichst vielen verschiedenen Farben. Neben den von Dir beschriebenen Ansätzen mag ich auch Chck in Achteln oder Sechzehnteln mit permanent auf- und abgleitender Greifhand gern. Und Chck mit Modulationseffekten und Delays.
 
Gerne auch:
Kurze EinwĂĽrfe von Leersaiten zwischen Akkorden.

Man kann es brauchen fĂĽr mehr Schmutz im Sound und damit "Street Credibility" Punkte.

Oder man sieht es als kleine musikalische Schlaglöcher, gefüllt mit Überraschungs-Jazz.
 
Als braver Bandgitarrist habe ich meine 4tel und 8tel gelernt und den ganzen anderen Schrummschumm. NatĂĽrlich auch ein paar Leads und Riffs uswuswusw.

Seit einigen Jahren höre ich vor allem Warren Haynes, Richie Kotzen, John Mayer zu. Da läuft es anders. Viele open string Akkorde, alte Bekannte in originellen Voicings. Ja: Einwürfe von Leersaiten und Einwürfe von Nichtsoleersaiten. Und Norbert aka Chk.

Das ist eine ganz andere Qualität. Ich arbeite daran.
 
Hallo,

ich sehe Norbert nicht nur als tollen Akkord sondern - so wie Schnabelrock - als Einstieg in die weite Welt des Krachs.

Als ich mit der Gitarre anfing, waren nach den Wünschen von Gitarrenlehrern (egal ob aus Büchern oder im Unterricht) Geräusche und Krach etwas, was es strikt zu vermeiden galt. Das musste alles schön sauber sein, die Ästhetik der klassischen Musik spielte da noch rein. Heute bin ich froh, das gelernt zu haben, denn das ermöglicht mir jetzt entweder "klinisch rein" zu spielen oder krachig und lärmig.

Krach und Lärm können eine Bereicherung sein. Ich selbst möchte aber nicht klingen wie Tom Morello, den angeblich seine Bandkollegen mal gefragt haben, wann er eigentlich damit aufgehört hat, richtig Gitarre zu spielen. Die Wahrheit liegt auch nicht, wie so häufig behauptet, in der Mitte. Für mich ist es eine Freude, zwischen sauber und krachig zu wechseln, wann immer ich es möchte.

Das kann man dann (je nach persönlichen Fähigkeiten) auch noch mit anderen Parametern mischen: Ausgeklügelte Flitzefingerpassagen sauber gespielt, die dann in wüste Krachorgien mit rudimentären Brachialakkorden enden. Sauber im Cleansound, dreckig im Zerrsound. Sauber mit fein justierten Hallfahnen, gestochenen Delays und subtiler Modulation rüber zu archaischem Trockenton mit Geräuschelementen.

Das Studieren von Krach hat bei mir noch einen schönen Nebeneffekt gehabt. Ich war der irrigen Ansicht, dass ich einen aggressiv klingenden Zerrer bräuchte. Dann kam ich auf den Gedanken, dass Aggressivität im Sound vielleicht mal nicht aus der Ansammlung von elektrischen Bauteilen in einer Dose sondern durch aggressiveres Spielen erzielt werden könnte, das klappte prima und führte dann dazu, dass ich auch noch das Gegenteil probierte. Ich drehte mir einen möglichst bösartigen Sound zusammen (für solche Experimente ist der Besitz eines Zoom MS50G eine echte Bereicherung) und versuchte diesen Sound durch die Benutzung der Potis an der Gitarre und entsprechende Spielweise zu entschärfen. Solche Versuche können ganz neue Perspektiven eröffnen und befreien davon, sklavisch an bestimmten Soundeinstellungen an Amp und Effekten zu hängen.

Und wenn ich hier schon so schön schwafele, noch ein lustiger Zeitvertreib: Man schaue auf Youtube ein paar Videos "Sounds like on Andertons TV". Das ist Werbung und soll verkaufsfördernd sein und nicht alle Sounds sind jedermanns Geschmack. Lustig wird es, wenn man versucht, mit seinem eigenen Equipment diese Sounds zu erzielen. Meistens muss man gar nichts kaufen...

GruĂź

erniecaster
 
Ich würde es ohnehin schön finden, wenn mehr Leute ihr gesamtes Equipment als Instrument begreifen und es spielen lernen, anstatt nur die Gitarre als Instrument zu sehen und den Rest nur so als Peripherie und munter fröhliches Austausch-Karussell zu begreifen.

Der Trend geht aber dahin. Nämlich, dass einen die Technik und Werbung ermutigt, Sound nicht als formbare Interaktion zu sehen, sondern eher in Produkten und Preset-Angeboten zu denken.
 
groby schrieb:
Ich würde es ohnehin schön finden, wenn mehr Leute ihr gesamtes Equipment als Instrument begreifen und es spielen lernen, anstatt nur die Gitarre als Instrument zu sehen und den Rest nur so als Peripherie und munter fröhliches Austausch-Karussell zu begreifen.

Der Trend geht aber dahin. Nämlich, dass einen die Technik und Werbung ermutigt, Sound nicht als formbare Interaktion zu sehen, sondern eher in Produkten und Preset-Angeboten zu denken.

Das wird in absehbarer Zeit leider nicht passieren. Die Musiker, die jetzt in den 20igern und 30igern ihres Lebens sind, gehen ganz anders an die Sache. Der Gesang steht extrem im Vordergrund und der Rest wird als "Loop" begriffen, der als 2-,4- oder 8-Takter mit Variationen unter den Gesang geschoben wird. Ob der Loop aus "echten" Instrumenten, Samples, virtuell oder sonstwie erstellt wurde ist dabei nicht wirklich wichtig. Der Loop wird als Ganzes, als Einheit gesehen incl. Beat, Bass und Rest. Heute wird die DAW als "Instrument" gesehen und die Gitarre ist eine von vielen vielen Optionen. Und das ist auch schon seit 15 Jahren so.

Ausnahmen, die der alten Technik fröhnen und die jung sind gibt es auch. Aber eher selten.

So ist halt das Leben bzw. die Musikgeschichte.
 

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