Review Harley Benton GS Travel E

E

erniecaster

Power-User
19 Dez 2008
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Hallo zusammen!

Hier mein Review zur Harley Benton GS Travel E. Dazu der Link zur Gitarre:

https://www.thomann.de/de/harley_benton_gs_travel_e_mahogany.htm

Manchmal sitze ich ganz gerne auf der Terrasse und spiele ein bisschen Gitarre. Das kann man mit seiner hochwertigen Lieblingsgitarre machen, keine Frage – aber dann knallt die Sonne richtig drauf, sie liegt entweder unsicher auf irgendeinem Terrassenmöbel oder auf dem Boden oder ich muss erst noch einen Gitarrenständer mitnehmen und stelle mir wieder alles voll. Nein, es muss eine kleine, robuste Couch-Gitarre her. Außerdem mag ich diese Art von Gitarren.

Okay, ich habe schon so etwas. Hier der Link:

https://www.musicstore.de/de_DE/EUR/J-D-AP-5-Parlor/art-GIT0040097-000

Das Ding ist nicht gut. Der Hals verzieht sich laufend, die Stimmung hält absolut nicht, ich bekäme nach etwa einer Viertelstunde theoretisch Schmerzen in der linken Hand, wenn ich nicht nach fünf Minuten mit dem Spielen aufhören würde, weil mir der Sound in den Ohren schmerzt.

Und die Harley Benton soll jetzt besser sein? Wie um alles in der Welt komme ich denn darauf? Tatsächlich habe ich mich von den vielen positiven Rezensionen über diese HB beeindrucken lassen. Ich denke nicht, dass das alles gekaufte Bewertungen sind und ich denke auch nicht, dass alle Rezensenten Idioten sind.

Bevor ich bestellt habe, habe ich gezögert. Kann man für den Preis eigentlich eine Gitarre herstellen? Ich mache das jetzt mal ganz kurz: Letzten Endes muss man da auf Informationen von Dritten vertrauen. In diesem Fall ist es Thomann. Ich vertraue Thomann. (So einfach habe ich es mir nicht gemacht, das hier soll aber ein Review werden, keine Abhandlung über Globalisierung und Arbeitsbedingungen. Jetzt also zur Gitarre.)

Diese Harley Benton ist natĂĽrlich nichts anderes als eine ziemlich dreiste Kopie einer Taylor GS mini. Viel Aufwand fĂĽr Forschung und Entwicklung ist da sicherlich nicht angefallen.

Beim Auspacken musste ich das erste Mal grinsen. Schon beim Einpacken wurde gespart – Tasche in den Karton, Gitarre drauf. Der Arbeitsschritt „Einpacken der Gitarre in die Tasche“ entfällt damit. Im Karton ist noch ein Inbusschlüssel und ein Klinkenkabel billigster Machart, das ich sicherlich niemals verwenden werde. Das versprochene Gigbag ist übrigens schlicht eine Tasche. Brauchbar für den Transport, aber praktisch nicht gepolstert. Mehr kann man für den Preis nicht erwarten.

Die HB ist ansonsten wirklich gut verarbeitet. Es gibt zwei kleine Mängel: Beim Aufkleben des Pickguards hat jemand ein bisschen mit dem Kleber gekleckert. Die Oberflächen der Bundstäbchen sind nicht poliert. Der Rest ist tadellos.

Das ist eine kleine Gitarre – quasi eine 7/8. Bei meiner Körpergröße von 1,75 m ist eine Gitarre in Standardgröße immer schon ein Möbel und so richtig bequem sitzt man damit nicht. Bei dieser HB ist das völlig anders. Die Gitarre ruht auf dem Oberschenkel, nichts drückt in die Rippen – dreht man sich, stößt die Kopfplatte nirgends an, weil der Hals so kurz ist. Ich finde das sehr angenehm.

Die Bespielbarkeit ist wirklich gut. Ich bin da nicht sehr pingelig und mag höhere Saitenlagen. Sicherlich könnte man am Sattel noch etwas nachfeilen und auch die Stegeinlage hätte noch Potenzial für Verbesserung – notwendig ist das nicht, meine linke Hand fühlt sich wohl. Das liegt natürlich an der kürzeren Mensur und den aufgezogenen 11er Saiten. (Warum HB 11er Saiten auf die kurze Mensur aufzieht, kann ich nicht nachvollziehen. Beim Vorbild Taylor GS mini erfolgt genau das Gegenteil, dort wird mit 13er Saiten ausgeliefert. Sei es drum, das passt.)

Die Auswirkungen der kurzen Mensur sind erstaunlich. Akkorde mit Überstreckungen sind plötzlich mühelos spielbar und der Weg in die höheren Lagen so kurz, dass mir auf einmal sehr viele Spielereien möglich sind, die ich bei einer langen Mensur nicht kann. Ich kann beispielsweise bei bei Bassfiguren auf den ersten drei Bünden der tiefen E-Saite zwischendurch mal Flageoletts der h-Saite und der hohen e-Saite über dem 12. Bund reinstreuen. Da darf man dann nur nicht die Frage aus den Augen verlieren, ob das musikalisch sinnvoll ist.

Kurzum, die Bespielbarkeit ist sehr gut. Man sitzt total entspannt, die linke Hand muss nicht weit ausgestreckt werden; kurzum ist alles komfortabler und einfacher als bei einer normalgroßen Gitarre. Dass die Bundstäbchen ab dem 14. Bund aufwärts sehr eng zusammen sind, liegt in der Natur der kurzen Mensur, da kann die HB nichts für.

Klanglich überrascht die HB, indem sie einfach wie eine normalgroße Akustikgitarre mit Mahagonidecke klingt. Also kleine ganz hohen Höhen, statt dessen etwas mittiger. Ich hatte dünne Bässe erwartet – sie sind aber nicht dünn. Tatsächlich habe ich ein paar mal auf Dropped D runtergestimmt und die HB knurrt da mit viel Schub untenrum.

Die Saitentrennung ist gut, es mulmt nichts, dröhnt nichts, rappelt nichts und klirrt nichts. Alles gut. Sustain ist genug da, die Gitarre lässt sich dynamisch spielen. Im Vergleich zu meinen anderen Akustikgitarren nehme ich hier lieber ein etwas dünneres Pick. Bei ganz leichtem Anschlag kommt nicht viel aus der Gitarre, danach lässt es sich gut arbeiten. Bei zu hartem Anschlag gibt sie etwas nach.

Tendenziell ist die HB eher präsent und offensiv. Wenn man mit dem Anschlag arbeitet, bekommt man fast alle typischen Akustikgitarrensounds raus. Es ist komisch, aus so einem kleinen Instrument Part und Sound von Adele Rolling in the Deep zu spielen aber es geht. Nur Hifi-Sound mit glitzernden Höhen gibt die Mahagonidecke nicht her.

Diese Harley Benton macht Spaß, richtig viel Spaß. Wer hat eigentlich die angeblich amtliche Länge von Mensuren festgelegt?

Dann ist da noch das eingebaute aktive Piezosystem. Das klingt wie so ein aktives Piezosystem heutzutage zu klingen hat. Ich habe mir den SpaĂź gemacht, mit einem Zoom MS50G als AuĂźenborder den Sound zu verbessern und das funktioniert wunderbar. FĂĽr die zwei Akustikballaden in der Rockband ist das mehr als okay und als Backup fĂĽr den ĂĽberzeugten Akustiker auch.

Normalerweise mag ich auf der verstärkten Akustikgitarre nicht mehr Effekte als etwas Compressor und Hall. Bei der HB habe ich mich häufiger dabei ertappt, mit Delays, richtig ausgefransten Hallräumen und sogar Modulation zu spielen. Die HB fühlt sich halt nicht wie eine normale Akustikgitarre an, da kommt man wirklich auf neue Ideen.

Seitdem die HB im Haus ist, habe ich sie laufend in der Hand – wann immer ich auch nur zwei Minuten zur Verfügung habe. Interessanterweise inspiriert mich das dazu, bei etwas mehr Zeit auch meine anderen Gitarren häufiger zu spielen. Die HB nimmt also keine Spielzeit weg, sie fügt welche dazu. Und sie macht sowas von Spaß!

Fazit? Das ist ein richtiges Musikinstrument mit enormem SpaĂźfaktor und ganz viel Inspiration. Definitiv als Backupgitarre geeignet, ganz sicher als Zweitgitarre.

Ich bin begeistert, nur eins überhaupt nicht. Jetzt muss ich unbedingt eine Taylor GS mini mit Fichtendecke probieren und fürchte, dass ich sie dann haben möchte.

Noch Fragen?

GrĂĽĂźe

erniecaster
 
Hi,

das is der Witz: Standardstimmung.

GruĂź

e.
 
Am Samstag hab ich dann doch endlich die Taylor GS Mahagoni gekauft, mit der liebäugele ich nun über ein Jahr.
Ich hatte Gelegenheit, sie mit der Taylor Fichte zu vergleichen, die Mahagoni klingt sanfter und voller, die Fichtendecke klarer und strahlender. Sonst unterscheiden sich die Gitarren nicht, nur in der Decke. Wer nochmal sagt, Holz wäre vernachlässigenswert ... das ist Unsinn. Ich hätte die mit Fichtendecke genommen, hab aber eine Akustik, die ziemlich klar und hell klingt. Daher nun die hörbar sattere. Die Meinung von Erniecaster zur Bespielbarkeit teile ich absolut. Die Mensur ist kein Problem, sie ist ein Vorzug. Bei E-Gitarren bevorzuge ich schon immer die Gibson-Mensur. Nun sehe ich, noch etwas weniger ist sicher kein Unglück.

Hatte auch noch einige andere Modell im Vergleich, irgendwas von Yamaha, Ibanez, Cort.
Aus Jux hab ich sie noch mit einer großen Lakeland für über 2.000 verglichen. Das ist nochmal ein Klassenunterschied, aber die kostet halt nicht nur das 4fache, sondern ist vor allem deutlich größer.

Kurzum: Was etwas kleine Gitarren angeht, die sind alle nicht konkurrenzfähig mit den Taylors. So unterschiedlich können Geschmäcker kaum sein.
Geiles Ding, perfekt bis ins Detail und Gigbag. Leider bestätigt sich meine Lernkurve der letzten Jahre: Wer mehr ausgibt, kriegt auch mehr. Bzw. wer weniger ausgibt, kriegt weniger, ist zwar kurz sediert, aber latent unzufrieden. Gilt zumindest für mich. Wenn ich irgendein Review "für den Preis" lese, schalte ich inzwischen ab. Nicht, weil ich versnobbt wäre oder reich bin, sondern weil das praktisch immer ein bestenfalls zweitklassiges Instrument kennzeichnet.

Naja, hoffen wir, dass von den 600 Euro auch ein bisschen mehr beim mexikanischen Arbeiter hängenbleibt und das ganze ein wenig nachhaltig gemacht wird.
Ich bin jedenfalls bestens bedient, was man u. a. daran merkt, dass ich eigentlich nur A-Gitarre spiele, wenn die Leute mal "House of the rising Sun" oder "Baby I love your way" hören wollen. Plötzlich hab ich da von mir aus richtig Bock drauf. Und das Case macht einen derart vertrauenerweckenden Eindruck, das ist alles so klein, handlich, leicht. Ich nehm das Ding jetzt überall mit hin.

P.S.: Aber natürlich kriegt man für 5x so viel Geld nicht mal annähernd 5x so viel. Vielleicht ein Fünftel. Das ist auch klar.
 
Danke fĂĽr den HB Review.
Es ähnelt auch meiner Erfahrung bezüglich HB-Acoustics.
Viel Gitarre zu passabler Qualität um wenig Geld.
Auch meine Campfire Gitarre ist ein HB um damals etwa 90 € und normaler Mensur.
War ein RiesenĂĽberraschung.
 
Vielen Dank fĂĽr das Review.

Nur so am Rande: ich spiel seit vielen Jahren eine Vellah für 500 €. Nimm viel damit auf - klingt. Ist gut verarbeitet und sehr gut bespielbar.
Ist meine einzige Akustik. Reicht fĂĽr meinen Bedarf.

Kann ich nur jedem mal empfehlen, diese Marke zu testen...

Von Harley Benton habe ich ne 2 mal 12 als upgrade zu Hause. Diese Box ist wirklich klanglich einwandfrei.
Gute Ware fĂĽr wenig Geld....

VG Oli
 
Eine Taylor GS Mini-e Mahogany habe ich letztes Jahr einen ganzen Abend auf einer Party spielen dĂĽrfen und wollte das Teil partout nicht mehr aus der Hand legen. Sehr gut verarbeitet, voller Klang, wunderbar ergonomisch und ein tolles SpielgefĂĽhl vermittelnd. - Fast so wie die Martin D42, die ich mal gespielt habe; wo man das GefĂĽhl hat, die Klampfe macht alles von alleine. Also wenn ich mal 700 Flocken ĂĽbrig habe, kaufe ich mir so ein Teil..
 
Ja, danke fĂĽr das Review.
Ich bin auch schon einige Zeit daran, etwas portables zu finden. Bislang ist die Überlegung, Höfner Shorty oder Yamaha APX T2 (Akustik vs Elektrisch), die Harley Benton habe ich noch nicht wirklich in die engere Auswahl einbezogen.
 
Guten Morgen!

Gestern habe ich bei der HB neue Saiten aufgezogen. Hier der Einfachheit halber meine eigenen Sätze zur Werksbespannung:

erniecaster schrieb:
Die Bespielbarkeit ist wirklich gut. Ich bin da nicht sehr pingelig und mag höhere Saitenlagen. Sicherlich könnte man am Sattel noch etwas nachfeilen und auch die Stegeinlage hätte noch Potenzial für Verbesserung – notwendig ist das nicht, meine linke Hand fühlt sich wohl. Das liegt natürlich an der kürzeren Mensur und den aufgezogenen 11er Saiten. (Warum HB 11er Saiten auf die kurze Mensur aufzieht, kann ich nicht nachvollziehen. Beim Vorbild Taylor GS mini erfolgt genau das Gegenteil, dort wird mit 13er Saiten ausgeliefert. Sei es drum, das passt.)

In der Saitenkiste fand ich einen 12er Satz D´Addario. Also runter mit den alten Saiten. Griffbrett man schnell etwas ölen - das war übrigens nicht trockener als bei vielen anderen neuen Gitarren. Erst wollte ich noch die Bünde polieren, sah aber davon ab, weil durch Spielen mit Bendings das schon völlig in Ordnung war.

Headstocktuner dran, stimmen und schon wundern. Der Anschlag auf jeder einzelnen Saite klang schon deutlich anders als vorher. Nochmal Saiten dehnen, nachstimmen und endlich der erste Akkord mit hochwertigen 12er Saiten statt mit billigen 11er Saiten. Das Hörerlebnis verschlug mir die Sprache. Etwas unbeholfen öffnete ich den Mund für eine vereinfachte Atmung.

Das klingt, wie man sich eine wirklich billige Gitarre vorstellt: Flach, undynamisch, klirrig und unmusikalisch. Ein einzelner Ton auf der E-Saite hatte vorher Attack, Sustain und Growl (ich erspare uns eine mühsame Übersetzung ins Deutsche). Jetzt ist es ein Ton, bei dem die Saite mit jammerndem Protest erklärt, über so einem Sperrholzkasten mit kurzer Mensur nun einfach mal nicht klingen zu können und deshalb den Dienst ab sofort einzustellen. Die hohen Saiten, die vorher etwas glockenartiges im Ton hatten, tun jetzt so, als seien sie mit dem Saitenzug völlig überfordert und hätten deshalb Angst, überhaupt zu schwingen. Das alles mit einem beleidigten Unterton.

Dazu ist das Spielgefühl jetzt wie bei einer Gitarre mit normaler Mensur, die Bequemlichkeit und Fluffigkeit sind weg. Bendings wie auf einer E-Gitarre? Nein, dafür muss man arbeiten und bei Arbeit hört bekanntlich der Spaß auf.

Wäre diese Gitarre mit diesen Saiten gekommen, hätte ich sie sofort eingepackt und zurück geschickt.

Neue Saiten sind ja immer ein Experiment, es gilt Trial and Error. Diese Saiten sind auf dieser Gitarre Error.

Ein bisschen Ehrgeiz habe ich ja, was so etwas angeht und ich werde versuchen, aus diesem Error mittels Spieltechnik etwas Sinnvolles zu machen, bevor ich auf diese Gitarre wieder 011er aufziehe.

Mit freundlichen GrĂĽĂźen

erniecaster
 

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