B
Banger
Guest
Ach Du Scheisse. Nun geht sie wieder los, die Zeit, wo man sich mit den Sätzen "Alaaf, zwei Alt!" und "Helau, lass mal'n Kölsch rüberwachsen" einen schnellen und unkomplizierten Freitod bestellen kann.
In den gut 2 1/2 Jahren, die ich nun in Düsseldorf wohne, hat sich der Karneval als harte Eingrenzung meiner Integrationsbereitschaft herausgestellt. Dabei habe ich so wohlwollend angefangen - eine Rückblende:
Rosenmontag 2003 - mein erster Rosenmontag im Rheinland*. Nach der an Weiberfastnacht vorangegangenen Feststellung, dass selbst die spiessigsten und arschlöcherigsten Kollegen in schunkelnde und witzereissende Gutelaunemonster verwandeln, sobald sie 'ne Pappnase auf und ein paar Alt hinter der Binde haben (man kennt eine ähnliche Symptomatik vom Betriebsfest), mache ich mich gegen Mittag auf, endlich mal bei 'nem echten Rosenmontagsfestzug in der Altstadt dabei zu sein.
Helau! Karnevalshochburg! Halligalli! Saufen! Bützen! Poppen! Das volle Programm! Jetzt komm ich!
Erste Irritationen treten ein, als ich gegen 11.30 Uhr aus der U-Bahn steige und die Treppen zur Altstadt erklimme: 12/13-jährige kommen mir saufend, grölend, kotzend entgegengestürzt.
Feststellung: ich bin noch viel zu nüchtern für das Theater hier! Sofortige Gegenmassnahmen werden am nächsten Bierstand eingeleitet. Noch im Rausch der Euphorie schreibe ich 'ne SMS an meine Cliaqe im heimatlichen Brilon: "Ätsch, ich bin da, ihr nicht!".
Irgendwie schaffe ich es, mich bis zum Burghofplatz vorzuwühlen. Dort stehend, zolle ich der Masseträgheit Tribut und schunkle eher passiv mit.
Da! De Zoch kütt! Nu aber Butter bei die Fische!
*patsch* prasselt mir eine Ladung Kamelle schmerzhaft in die Visage. Innerhalb kürzester Zeit komme ich mir vor wie in der ersten Reihe eines Boygroup-Konzerts, ein unglaubliches Gedrängel und Geschubse setzt ein, das verbitterte und kampfbereite Stürzen auf die verschleuderten Süsswaren weckt Assoziationen an Bilder von der Lebensmittelverteilung in Krisengebieten. Im Kampf um Gummibärchentüten, Bonbons und sonstigem Kram bekomme ich alternierend die Spitzen von umgestülpten Regenschirmen, Fäuste und allerlei sonstiges schmerzverursachendes an den Kopf, was mich zwischenzeitlich ernsthaft an meiner pazifistischen Grundhaltung zweifeln lässt.
Um mich herum spielen sich schemenhaft grauenhafte Szenen ab: sichtlich intoxikierte Ü40er, die (nach optisch-ästhetischen Gründen und den Gesetzen der Natur folgend, durchaus berechtigt) seit schätzungsweise 20 Jahren sexuelle Kontakte allerhöchstens mit technischen Hilfsmitteln hatten, entladen ihr aufgestautes sexuelles Defizit konzentriert an diesem Tag. Kreischend wird gebützt und befummelt, wer nicht schnell genug ausser Reichweite ist. Brrrrrrrr.
Zugegeben, meine oben genannten Motivationsgründe bewegen sich auf ähnlichem Terrain, aber weder kann ich eine 20jährige Kopulationskrise vorweisen, noch plane ich, jemanden unfreiwillig zu beglücken.
Flucht! Da! In 10m Entfernung ein rettender Bierstand (Zwischenfazit: ich bin immer noch viel zu nüchtern) - jedoch ist der Versuch, diesen lebend zu erreichen, ungefähr so aussichtsreich wie Skifahren auf einer vollbesetzten Rolltreppe. Gegen die Fahrtrichtung, nach oben!
Also bemühe ich mich, aus den Wurfgeschossen auch einen Nutzen zu ziehen. Mein größter Fang ist ein T-Shirt - mit dem Aufdruck der Fussballweltmeisterschaft Frakreich '98. Das Duale System, lebt es hier?
Stilecht mit einer letzten Salve Kamelle in meine Augenpartie endet dä Zoch dann irgendwann und das Getümmel löst sich langsam auf. Zurück bleibt ein Altstadtpflaster, welches nahezu komplett von einer zertretenen Melange aus Wurfmaterial, Bierbechern, Flaschen und Dosen bedeckt ist.
Endlich gelange ich an den seit 2 Stunden avisierten Bierstand und, mich langsam erholend, entschliesse ich mich, den Tag nicht als verloren aufzugeben und mich an der längsten Theke der Welt karnevalistisch zu amüsieren - oder mich dermassen sinnlos zu besaufen, bis ich zwangsamüsiert bin. Letzteres würde zwar die Möglichkeit der Unterleibsertüchtigung erheblich einschränken, aber die ohnehin eher halbherzig gefassten Pläne befinden sich längst irgendwo im zertrampelten Bodenbelag.
Doch, ach, welch sinnloses Vorhaben. Die Kneipen sind entweder hoffnungslos überfüllt oder mit Jecken besetzt, deren Alkoholpegel sich zu weit über meinem befindet. Die freistehenden Bierstände machen auch schon dicht, so dass sich mir die Möglichkeit verwehrt bleibt, mich in kalkulierbarer Zeit anzupassen.
Kapitulation. Weisse Fahne hoch! Ich ergattere noch einen Stehplatz in der U-Bahn nach Hause. In unmittelbarer Entfernung erbricht sich während der Fahrt ein Mädchen auf den Boden. Meine Kunst der Verdrängung unangenehmer Gegebenheiten erweist sich als zu stark, so dass ich beim Ausstieg noch halbwegs drauf ausrutsche. Für einen kurzen Moment wird der Ausstiegsbereich der U-Bahn zur Kleinkunstbühne; ich ernte Applaus und schallendes Gelächter. Meinen verbliebenen Sinn für Humor zusammenraffend, verbeuge ich mich überschwenglich, bevor sich die Türen schliessen.
Zuhause angekommen, schmeisse ich mich auf's Sofa, suche einen TV-Sender ohne Karnevalsübertragung und verfasse eine SMS nach Brilon, in der ich mein Bedauern zum Ausdruck bringe, dass ich nicht dabei war, mir nach guter, alter sauerländer Art zu solchen Gegebenheiten einfach und ohne grosses Getüddel drumherum gepflegt den Arsch zulaufen zu lassen.
Als Jeck muss man wohl geboren sein.
An die "echten" Jecken da draussen: ich will Euch und Eurem Brauchtum nichts böses. Vielleicht hatte ich einfach nur das Pech des Ortsfremden, in die Touristenfalle zu geraten. Vielleicht werde ich eines Tages eines besseren belehrt.
*) für nicht-eingeweihte: ich bin ein Landei aus dem Hochsauerland ;-)
In den gut 2 1/2 Jahren, die ich nun in Düsseldorf wohne, hat sich der Karneval als harte Eingrenzung meiner Integrationsbereitschaft herausgestellt. Dabei habe ich so wohlwollend angefangen - eine Rückblende:
Rosenmontag 2003 - mein erster Rosenmontag im Rheinland*. Nach der an Weiberfastnacht vorangegangenen Feststellung, dass selbst die spiessigsten und arschlöcherigsten Kollegen in schunkelnde und witzereissende Gutelaunemonster verwandeln, sobald sie 'ne Pappnase auf und ein paar Alt hinter der Binde haben (man kennt eine ähnliche Symptomatik vom Betriebsfest), mache ich mich gegen Mittag auf, endlich mal bei 'nem echten Rosenmontagsfestzug in der Altstadt dabei zu sein.
Helau! Karnevalshochburg! Halligalli! Saufen! Bützen! Poppen! Das volle Programm! Jetzt komm ich!
Erste Irritationen treten ein, als ich gegen 11.30 Uhr aus der U-Bahn steige und die Treppen zur Altstadt erklimme: 12/13-jährige kommen mir saufend, grölend, kotzend entgegengestürzt.
Feststellung: ich bin noch viel zu nüchtern für das Theater hier! Sofortige Gegenmassnahmen werden am nächsten Bierstand eingeleitet. Noch im Rausch der Euphorie schreibe ich 'ne SMS an meine Cliaqe im heimatlichen Brilon: "Ätsch, ich bin da, ihr nicht!".
Irgendwie schaffe ich es, mich bis zum Burghofplatz vorzuwühlen. Dort stehend, zolle ich der Masseträgheit Tribut und schunkle eher passiv mit.
Da! De Zoch kütt! Nu aber Butter bei die Fische!
*patsch* prasselt mir eine Ladung Kamelle schmerzhaft in die Visage. Innerhalb kürzester Zeit komme ich mir vor wie in der ersten Reihe eines Boygroup-Konzerts, ein unglaubliches Gedrängel und Geschubse setzt ein, das verbitterte und kampfbereite Stürzen auf die verschleuderten Süsswaren weckt Assoziationen an Bilder von der Lebensmittelverteilung in Krisengebieten. Im Kampf um Gummibärchentüten, Bonbons und sonstigem Kram bekomme ich alternierend die Spitzen von umgestülpten Regenschirmen, Fäuste und allerlei sonstiges schmerzverursachendes an den Kopf, was mich zwischenzeitlich ernsthaft an meiner pazifistischen Grundhaltung zweifeln lässt.
Um mich herum spielen sich schemenhaft grauenhafte Szenen ab: sichtlich intoxikierte Ü40er, die (nach optisch-ästhetischen Gründen und den Gesetzen der Natur folgend, durchaus berechtigt) seit schätzungsweise 20 Jahren sexuelle Kontakte allerhöchstens mit technischen Hilfsmitteln hatten, entladen ihr aufgestautes sexuelles Defizit konzentriert an diesem Tag. Kreischend wird gebützt und befummelt, wer nicht schnell genug ausser Reichweite ist. Brrrrrrrr.
Zugegeben, meine oben genannten Motivationsgründe bewegen sich auf ähnlichem Terrain, aber weder kann ich eine 20jährige Kopulationskrise vorweisen, noch plane ich, jemanden unfreiwillig zu beglücken.
Flucht! Da! In 10m Entfernung ein rettender Bierstand (Zwischenfazit: ich bin immer noch viel zu nüchtern) - jedoch ist der Versuch, diesen lebend zu erreichen, ungefähr so aussichtsreich wie Skifahren auf einer vollbesetzten Rolltreppe. Gegen die Fahrtrichtung, nach oben!
Also bemühe ich mich, aus den Wurfgeschossen auch einen Nutzen zu ziehen. Mein größter Fang ist ein T-Shirt - mit dem Aufdruck der Fussballweltmeisterschaft Frakreich '98. Das Duale System, lebt es hier?
Stilecht mit einer letzten Salve Kamelle in meine Augenpartie endet dä Zoch dann irgendwann und das Getümmel löst sich langsam auf. Zurück bleibt ein Altstadtpflaster, welches nahezu komplett von einer zertretenen Melange aus Wurfmaterial, Bierbechern, Flaschen und Dosen bedeckt ist.
Endlich gelange ich an den seit 2 Stunden avisierten Bierstand und, mich langsam erholend, entschliesse ich mich, den Tag nicht als verloren aufzugeben und mich an der längsten Theke der Welt karnevalistisch zu amüsieren - oder mich dermassen sinnlos zu besaufen, bis ich zwangsamüsiert bin. Letzteres würde zwar die Möglichkeit der Unterleibsertüchtigung erheblich einschränken, aber die ohnehin eher halbherzig gefassten Pläne befinden sich längst irgendwo im zertrampelten Bodenbelag.
Doch, ach, welch sinnloses Vorhaben. Die Kneipen sind entweder hoffnungslos überfüllt oder mit Jecken besetzt, deren Alkoholpegel sich zu weit über meinem befindet. Die freistehenden Bierstände machen auch schon dicht, so dass sich mir die Möglichkeit verwehrt bleibt, mich in kalkulierbarer Zeit anzupassen.
Kapitulation. Weisse Fahne hoch! Ich ergattere noch einen Stehplatz in der U-Bahn nach Hause. In unmittelbarer Entfernung erbricht sich während der Fahrt ein Mädchen auf den Boden. Meine Kunst der Verdrängung unangenehmer Gegebenheiten erweist sich als zu stark, so dass ich beim Ausstieg noch halbwegs drauf ausrutsche. Für einen kurzen Moment wird der Ausstiegsbereich der U-Bahn zur Kleinkunstbühne; ich ernte Applaus und schallendes Gelächter. Meinen verbliebenen Sinn für Humor zusammenraffend, verbeuge ich mich überschwenglich, bevor sich die Türen schliessen.
Zuhause angekommen, schmeisse ich mich auf's Sofa, suche einen TV-Sender ohne Karnevalsübertragung und verfasse eine SMS nach Brilon, in der ich mein Bedauern zum Ausdruck bringe, dass ich nicht dabei war, mir nach guter, alter sauerländer Art zu solchen Gegebenheiten einfach und ohne grosses Getüddel drumherum gepflegt den Arsch zulaufen zu lassen.
Als Jeck muss man wohl geboren sein.
An die "echten" Jecken da draussen: ich will Euch und Eurem Brauchtum nichts böses. Vielleicht hatte ich einfach nur das Pech des Ortsfremden, in die Touristenfalle zu geraten. Vielleicht werde ich eines Tages eines besseren belehrt.
*) für nicht-eingeweihte: ich bin ein Landei aus dem Hochsauerland ;-)