ich habe gestern zu diesem Thema eine beeindruckende Mail vom Jörg (Ex-Pfälzer) bekommen, die ich mit seiner Erlaubnis hier gerne posten werde, weil sie sehr viel wertvolle Infomationen beinhaltet!
1. Funktion des dom7-Akkords in der II-V-I
Der dom7-Akkord soll (egal ob die II-V-I in Dur oder Moll ist) Spannung auf den Grundakkord erzeugen. Diese Spannung resultiert aus dem Tritonus-Intervall zwischen Terz und Septime des dom7-Akkordes (in C-Dur/Moll ist der dom7 der II-V-I G7. Die Terz von G7 ist b (deutsch: h), die Septime ist f. Zwischen b und f ist ein Tritonus Abstand). Daher hat der dom7-Akkord eine innere Spannung. Diese wird aus folgenden Grund perfekt
aufgelöst: Die Terz des dom7-Akkordes (bei G7 also b) ist der starke Leitton (= große Septim = mj7) zum Grundton der erste Stufe (in unserem Beispiel also c), die Septime des dom7-Akkordes (in Bsp.: f) ist gleichzeitig der schwache Leitton des Grundakkordes (dessen Quarte), die zur Quinte des Grunfakkordes aufgelöst wird (also g).
Also passiert folgendes:
dom7 V. Stufe -> Grundakkord I. Stufe
Terz (= mj7 der I. Stufe) -> Grundton I. Stufe
Septime (= 4 der I. Stufe) -> Quinte I. Stufe
Aus dem Tritonus wird also eine reine Quinte. Dazu leiten die einzelnen Töne auch noch funktional auf die Auflösung.
(Bei einer V-I in C-Dur/C-Moll wird also das b des G7 in das c des Grundakkordes aufgelöst und das f des G7 wird in ein g des Cmj7/cm7
aufgelöst.)
-> Erste Übung für die Ohren:
- Nimm eine II-V-I in C-Dur und in C-Moll auf.
-> Spiel über die V ein b(h) und über die I ein C Spiel über die V ein f
-> und über die I ein G Spiel jetzt über die V b und f (gleichzeitig)
-> und über die I c und g.
Das mag sehr primitiv sein, aber das ist, was sich wirklich zunächst mal abspielt.
2. II-V-I in Dur und Moll
Ich denke, du weißt, dass eine II-V-I in Dur so aussieht:
II (moll7) - V (dom7) - I (maj7)
in Moll ist aber die V. Stufe eigentlich ein Moll-7-Akkord (also in Amoll ein Em7). Da dieser aber keine Spannung zur I hat (weil eben kein Tritonus wie bei einem dom7 drin ist), wird er durch einen dom7 erstezt.
So...die Terz von dem dom7-Akkord auf der V. Stufe hat in Moll die Funktion einer gr. Septim (mj7), ist also sklaenfremd.
Beispiel in c-moll (Die II. Stufe in Moll ist btw. ein half-dimished Akkord
(moll7b5)).:
dm7b5 - G7 (statt gm7) - cm7
Bei G7 ist b die Terz...das ist die mj7 in c-Moll.
DESHALB funktioniert melodisch Moll (mit gr. Septim) über eine II-V-I. ABER nur über eine II-V-I in MOLL.
3. Funktionale und statische dom7:
In einer II-V-I ist der dom7 ein funktionaler Akkord, d.h. er hat die Funktion des Spannungserzeugers. Es gibt aber auch dom7-Akkorde, die außerhalb einer II-V-I stehen (z.B. im Blues, bei Static-Chord-Vamps etc.), d.h. keine direkte harmonische Funktion haben.
DAS sollte man ganz dringend beachten, wenn es um zu benutzendes Tonmaterial geht.
So wird z.B. gerne mel.Minor eine Quinte höher vorgeschlagen (also d mel.
Minor über G7). Das ist das Selbe wie mixo#11 oder lydian b7, alles unterschiedliche Namen (und Herleitungen) für die selben Noten.
Es ist einfach eine mixolydische Skala mit einer erhöhten Quarte, also folgende Funktionen: 1-2-#3-#4-5-6-b7.
So, und jetzt betrachten wir mal, was dieser Wechsel mit dem oben erklärten Spannungsverhältnis macht...
die #4 des dom7-Akkordes ist die b9 des Grundakkordes (in C: beim dom7 (=
G7) ist c# die #4, ist in C die #9). Das klingt nicht so prall, weil die Auflösung b9 zu 1 nicht so dolle ist...
Also: Mixo#11 ist nicht hilfreich, um die Spannung aufzulösen. Deshalb sinnig, um über statische dom7-Akkorde zu spielen, aber nicht über funktionale Akkorde...
Das gilt für viele empfohlene Geschichten....deshalb: Aufpassen.
4. HILFE, was nun:
Erstes Hilfsmittel:
Bevor wir überhaupt mehr Spannung und Alteration in die II-V-I über den dom7 bringen können, sollten wir erst mal die "klassische" Variante (vor allem auch in Moll!) hören...und da helfen Standards wie z.B. "how high the moon", "Misty" usw....Du bist doch ein lickorientierter Spieler, hör dir doch mal ein Licks z.B. von Wes Montgomery, Ed Bickert oder Jim Hall über solche Standards raus...und dann analysier mal, wie die Jungs das machen...zumeist ohne viel Skalenbrimborium, sondern meistens bleiben sie in der Tonart und verschieben nur kurz chromatisch.
Zweites Hilfsmittel:
Wenn du wirklich etwas mehr Spannung und Alterartion über die Dom7 reinbringen willst, denk an folgendes:
- Die Alteration läuft nur über die V, also über die II und die I bleibt die Grundtonart bzw. deren Modi (zum Thema Modus: Du kannst natürlich die dorian-mixo-ionian-Arie in Dur und die locrian-mixo-aeolian-Nummer in Moll abziehen...du kannst aber auch feststellen, in welcher Tonart die II-V-I ist und nur diese Tonart spielen und mit den Akkord-Arps auffüllen...das ist (besonders bei schnellen Tempi) nicht nur wesentlich einfacher, sondern klingt zumeist auch natürlicher ;-)
- Um zu alterieren, ist die sogenannte "Tritonus-Substitution" hilfreich, d.h. du spielt statt dem dom7-Akkord einen dom7-Akkord einen Tritonus höher (also in C-Dur: Statt dm7-G7-Cmj7 -> dm7-c#7-Cmj7). Dadurch erhältst du eine schöne chromatische Linie...SO: Und wenn du beim Solieren eben den Arp des Tritonus-Substitutionsakkords spielst, erhält du tierisch Spannung und es klingt auch noch lecker, weil du danach mit dem Arp des Grundakkordes jeden Ton auflöst.
Übung:
- Nimm eine II-V-I in CDur und Cmoll auf, diesmal mit alteriertem dom7-Akkorde.
- Spiel über die II-Stufe ihren Arp (in C-Dur: dm7-Arp: d-f-a-c, in cmoll:
dm7b5-Arp: d-f-ab-c), über die V. Stufe den Trit.Sub.Arp (also c#7:
c#-f-g#-b(h)), über die erste Stufe den mj7 Arp (also c-e-g-b)
-> Na da guck, über die V. Stufe ist immer noch das b(h) als erster
-> Leitton
und das f als schwacher Leitton drin. Und das obwohl wird tritonus-substituierend alteriert haben.
WAS LEHRT UNS DAS???
Die musikalische Funktion des dom7-Akkordes bleibt IMMER erhalten, wenn das Spannungsintervall des Tritonus zwischen gr. Terz und kl. Septim der V.
Stufe (= mj7 und 4 der I. Stufe) erhalten bleibt.
=> Wie oben schon geschrieben: Das ist im Prinzip alles, was wichtig ist.
Und jetzt mach noch mal die erste Übung, um das zu verinnerlichen.
5. Conclusio:
Du kannst fast beliebig Tonmaterial benutzen, solange du diese beiden Töne deutlich setzt und auflöst. Darauf solltest du dich zunächst beim Üben konzentrieren, diese beiden Töne rhythmisch günstig für die Spannung zu setzen und sauber aufzulösen. Sobald du hierfür ein Feeling gewonnen hast, ist es deiner Fantasie überlassen, wie man das harmonisch aufhübschen kann...
Beispiel zur harmonischen Aufhübschung einer II-V-I in C-Dur (durch ARPs)
Über dm7: fmj7-Arp (f-a-c-e)
Über G7: f-dim-arp (f-a-b-d)
Über Cmj7: amoll-7-Arp dritte Inversion (= em6, also e-g-a-c)
Dadurch hast du eine schöne Abwärtsbewegung, über der V. Stufe die nötige Spannung und über der I. Stufe die nötige Auflösung...und es ist vergleichsweise leicht zu spielen und zu merken....
Noch ein Beispiel, diesmal mit Pentas:
Über dm7: d-moll-Penta auf c beginnend (c-d-f-g-a) Über G7: b(h)-Moll-BLUESpenta (b-d-e-f-f#-a) Über Cmj7: a-moll-Penta auf c beginnend (c-d-e-g-a)
Wie (hoffentlich) siehst, konzipiere ich tonales Material, dass sich in eine bestimmte Richtung bewegt, über die V. Stufe die beiden Töne des bekannten Tritonus enthält und über die I. Stufe die Töne zur Auflösung).
-> Das ist ein sehr simples Konzept...ich mag simple Konzepte...denn bei
simplen Konzepten kann ich mich aufs Hören und Fühlen konzentrieren, und das ist wichtiger als Nachdenken und nach den Noten auf dem Griffbrett suchen.
Komplizierte Konzepte klingen kompliziert...und das mag niemand wirklich hören, außer die, die sich auf die Komplexität einen runterhoxxx...
Verständliche Musik darf keine komplizierten Konzepte haben, sonst kann sie keine Inhalte mehr transportieren.
Leute wie Pat Metheny, Wes Montgomery, Larry Carlton usw. haben solche simplen Konzepte...um diese zu entwickeln, braucht man sicherlich zunächst mal den Gesamtüberblick über die harmonischen Zusammenhänge und die Möglichkeiten...aber wenn man dann ein Konzept gefunden hat, das einem vom Ohr und von den Händen her liegt, kann man unter Zuhilfenahme der Ohren stilsicher spielen.
Vergiss die ganze Skalengeschichte, versuche, zu hören und zu verstehen, worin der musikalische Sinn des Ganzen liegt und welche Funktion der dom7 hat...dann sollte es bei deiner melodischen Grundbegabung kein Problem mehr sein, dir ein dir entsprechendes Konzept zu erarbeiten, das als einzige Regel die geschilderte Spannungserzeugung und deren Auflösung beinhaltet und sich ansonsten an deinen musikalischen und spieltechnischen Vorlieben orientieren kann.
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Ich hoffe, es hat ein wenig geholfen. Es ist schwierig, Dinge in Worte zu fassen, die beim Gegenübersitzen mit einer Gitarre in der Hand einfach zu erklären sind...
Über Feedback (auch in musikalischer Form) würde ich mich freuen.