Moin,
wie bereits festgestellt, gibt es eine standardisierte Kompensation nicht.
Sie ist abhängig von der Saite, der Mensur und der Saitenlage, also der Höhe der Saite zum Bund.
Warum werden die Saiten überhaupt unterschiedlich kompensiert?
Die Antwort liefert das
Spannungs - Dehnungs Diagramm von Stahl:
Spannung und elastische Dehnung wachsen keineswegs linear. Während anfangs nur die Spannung steigt und die Saite kaum elastisch gedehnt wird, kehrt sich das Verhältnis bei starker Belastung um. Die Saiten einer Gitarre sind aber alle unterschiedlich belastet:
Wer ein Tremolo besitzt, kann mal folgenden Veruch machen: Spielt die hohe E-Saite an und tremolieret sie um einen Ganzton herunter. In dieser Position spielt jetzt die G-Saite an und lasst das Tremolo los. Wo war sie?
Bei meiner Lisette fällt die G-Saite um eine Quinte, wenn die E' einen Ganzton gefallen ist.
Warum? Weil die E' wesentlich mehr elastisch gereckt ist, als die dicke plain-Steel G!
Darum hängt die Kompensation einer Gitarre auch direkt mit der Länge der Mensur zusammen. Je länger die Mensur, desto geringer die Kompensation und umgekehrt.
Allerdings spielt auch die Saite vor dem Sattel und hinter der Brücke in den Faktor Elastizität und damit in die Kompensation herein.
Dass die Saitenlage damit zu tun hat, liegt auf der Hand und wurde bereits erwähnt: Je höher die Saite, desto weiter die Dehnung bis zum Bund.
Saitenhersteller bemühen sich zwar um möglich ähnliche Produkte, damit die Kunden ihr Instrument nicht nach dem Saitenwechsel einstellen lassen müssen, (was viele als Manko an der Saite betrachten würden) aber kleine Unterschiede und Ausreißer gibt es bei den umsponnenen Saiten doch gelegentlich. Dabei sei nebenbei angemerkt: Wer feststellt, dass seine Gitarre plötzlich um einen viertelton auf einer Saite falsch intoniert, hat keine kaputte Gitarre, sondern eine kaputte Saite. Immer!
Was ist eine korrekte Intonation?
Hier wird es kompliziert!
Wir reiben uns ewig zwischen den natürlichen Tönen und der temperierten Stimmung, die bis auf die Oktave alle Intervalle falsch darstellt. Vor allem Terzen kommen sehr schlecht weg. Wenn wir eine Gitarre auf bestimmte Akkorde einstimmen und dann Umkehrungen davon spielen, kann es einem schnell die Zähne ziehen! Auch die Steifheit der umsponnenen Saite in hohen Lagen, sowie der Magnetismus der Pickups macht uns das Leben schwer.
Ich benutze übrigens NIE ein Stimmgerät, um eine Gitarre einzustellen, sondern spiele bestimmte Intervalle über das gesamte Griffbrett. WAS man da einstellt, hängt auch vom Repertoire des Besitzers ab. Für jemanden, der Metal spielt, sind Terzen vollkommen egal. Hier müssen Quinten und Oktaven sauber sein! Für einen Jazzer gehe ich da anders heran und arbeite mit offenen Akkorden und oktavierten Terzen.
Aber in letzter Konsequenz können wir uns einem perfekten Ergebnis nur nähern.
Anna Vidovic, die gewiss kein schlechtes Instrument spielt, stimmte neulich bei ihrem Konzert in Aachener Krönungssaal nach jedem Stück ihr Instrument – auf die neue Tonart!