Hallo Auge,
habe deine Frage in GW gelesen...und da ich sehr gerne upper structures (U.S.) benutze, dachte ich, ich könnte dir mal was dazu schreiben.
Wichtigster Punkt zuerst: Harmonische Konzepte müssen (für mich) relativ einfach sein. Komplizierte Konzepte sind kompliziert zu spielen und dadurch kompliziert zu hören und damit musikalisch unbrauchbar. Deshalb benutze ich simple Konzepte (ich bin ja auch ein Simpel).
Punkt 1: Zuerst mal sollte man die musikalische Funktion der einzelnen Töne HÖREN. Die U.S. sind für mich nur die 9 (2), die 11 (4) und 13 (6) und deren Derivate (also #11 etc.), da die 7 definitv zum Grundakkord dazu gehört (ohne 7 lässt sich nicht zwischen Dur und Dom7 und auch nicht zwischen Moll und harmonisch Moll (moll-maj7-Akkord) unterscheiden, also ist die 7 (zumindest gehörtechnisch) integraler Teil des Akkordes.
Die 2, 4 und 6 (also 9, 11 und 13) sind PASSING TONES, d.h. keine besondere Auflösung, kein besonderer Zug zu einer anderen Note. Sie haben einen "schwebenden" Sound (wenn du z.B. einen F/g, was ja ein Gsus9/11 ist spielst, hört man diese schwebende Charakteristik sehr gut). Wenn man sie alteriert (also b9, #11, b13), bekommen sie mehr Zug auf die 1 (b9) bzw. die 5 (#11/b13); das fällt für mich aber in die Thematik "chromatik approach" bzw. "Targeting".
Dieser "schwebende" Sound ist für mich die eigentliche Stärke von U.S. Hör dir mal Wes (Montgomery), Pat Metheny oder meinen Lieblingsjazzgitarristen Ed Bickert an...
Punkt 2: Wie kann man das harmonisch einordnen:
Wenn man die 2, 4 und 6 betrachtet, sind das sowohl in Dur (ionisch), als auch bei dom7 (mixo) und moll (dorisch) leitereigene Töne, haben also kein Outsidepotential, sondern eben den schwebenden Sound. Harmonisch gesehen, erhält man durch Alteration EINES Tones der U.S. die anderen Modi: z.B. Lydian durch #11, phrygian durch b9 etc...das ist aber wieder ein anderes Konzept, nämlich "Pitch axis".
Punkt 3: Einfaches Konzept fĂĽr U.S.:
Um den U.S.-Sound zu bekommen, spielt man einfach den Moll-Triad 2 Halbtöne über der Root des Akkordes. Das funktioniert sowohl über Dur- als auch über dom7- und moll Akkorde:
-> Also ĂĽber Cmj7/C7/cm7: dm-Triad (d-f-a)
Um einen geschlosseneren Sound zu bekommen, kann man die moll-Penta 2 Töne über der Root spielen. Diese enthält neben der 2, 4 und 6 (=U.S.) noch die beiden Auflösungstöne der Root (= 1 und 5). Auch das funktioniert über die 3 Akkordtypen.
Also ĂĽber Cmj7/C7/cm7: dm-Penta: d (9), f (11), g (5), a (6), c (1) -> In Klammern die Funktionen zur Root.
Ich weiß/höre auf diese Art einfach, wie die Upper Structure klingt bzw. welchen Sound sie erzeugt...und wenn ich diesen Sound will, benutze ich die Penta/den Moll-Triad 2 Halbtöne über der Root und fertisch; und so hat es Wes gemacht (zumindest wenn man diversen Bios glauben darf) und so macht es Pat Metheny (wenn man seinen Interviews glauben darf).
Vergiss nie, dass Skalentheorie nur Werkzeug ist. Du musst eine Vorstellung vom Schrank haben, bevor du die passende Säge wählst...und nimm lieber eine einfache Säge, mit der du weisst, wie man sägt, und nicht die 270-Grad-Dekupiersäge, wenn du das Arbeiten mit ihr als (unnötig) kompliziert empfindest ;-)