Emulation einer Elektrogitarre

DerOnkel

Power-User
26 Nov 2004
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Ellerau
Im Zuge meiner Arbeiten zum Thema Elektrogitarre, kommt man irgendwann zwangsläufig zu der Frage, ob man das ganze nicht auch technisch nachbilden kann. Eine Emulation der Elektrogitarre sozusagen. Ich habe vor kurzem an anderer Stelle meine Erkenntnisse zu diesem Thema zusammengefaßt:

Die Emulation einer E-Gitarre durch eine andere ist IMHO spätestens seit der Variax salonfähig geworden. Dabei sind viele Dinge zu berücksichtigen, die weit über die von mir vertretene Tonabnehmerdoktrin hinausgehen. Ich zähle einmal auf:

1. Tonabnehmer

Wenn man einen Tonabnehmer mit ausreichend hoher und ausgeprägter Resonanz hat, der keinen allzu großen Gleichstromwiderstand aufweist, kann man mit Hilfe von passiver Elektronik die Übertragungskurve in weiten Grenzen festlegen. Ich habe zu dem Thema bereits sehr viel geschrieben und stehe damit auf dem gleichen Standpunkt wie Helmuth Lemme.

Natürlich kann man die gewünschte Übertragungskurve auch mit aktiver Elektronik erzeugen. Hier ist man dann noch wesentlich flexibler.

Schlußfolgerung:

Die Übertragungscharakteristik eines beliebigen Tonabnehmers elektronisch nachzubilden stellt kein großes technische Problem dar. Der Aufwand ist vergleichsweise gering.

2. Tonabnehmerposition- und Breite

Die relative Position und Breite des Tonabnehmers haben teilweisen einen massiven Einfluß auf den Klang einer Elektrogitarre, der vollkommen unabhängig von den elektrischen Eigenschaften des Tonabnehmers ist.

Beide bilden ein Kammfilter, dessen Kammfrequenzen eine Funktion der Position / Breite ist. Ein Tonabnehmer bei 25% der Mensur führt dann dazu, daß die 4. Harmonische und ihre Vielfachen einfach nicht übertragen werden (siehe Bild 1-9 und 1-10 in Guitar-Letters II).
Die Breite verursacht vom Prinzip her ein ähnliches Verhalten, nur ist der Einfluß wesentlich geringer.

Von diesen "Filtern" enthält eine normale E-Gitarre je 6. Also für jede Saite eins für die Breite und eins für die Position.

Will man hier eine Emulation bauen, muß man also für jede Saite einen eigenen Sensor (ich sage jetzt bewußt nicht Tonabnehmer) haben, der nach Möglichkeit die originale Schwingung abnimmt. Da das aber grundsätzlich nicht möglich ist. Sind noch zusätzlich 6 Formfilter zur Korrektur erforderlich.

Eine technische Realisierung ist nicht ganz einfach. Man muß das oder besser gesagt die Signale getrennt digitalisieren und dann den Kammfiltern zuführen. Roland hat etwas vergleichbares in seinem VG-8 System gemacht. Es gibt dazu das US Patent 5,367,120 von 22. November 1994.

Die Variax muß sich ebenfall dieser Prinzipien bedienen, da sie sich zwingend aus den physikalischen Verhältnissen der schwingenden Saite ergeben.

Schlußfolgerung:

Die Übertragungscharakteristik der durch Breite und Position definierten Kammfilter läßt sich technisch vollständig nachbilden. Der zu treibende Aufwand ist jedoch nicht unerheblich. Ein Kernproblem besteht im Erhalt der originalen unverfälschten Saitenschwingung als Eingangsgröße für die Filter.

3. Hals und Korpus

Auch hier existieren ganz unzweifelhaft Resonanzen und Antiresonanzen, die zu einer Dämpfung oder Verstärkung der Saitenschwingung führen. Entsprechende Untersuchungen wurden von Dr. Dan Russel und Prof. Helmut Fleischer durchgeführt. Die Wissenschaft steckt hier aber noch ganz am Anfang.

Um das akustische Verhalten einer Gitarre nachzubilden, bleibt zur Zeit IMHO nur eine Möglichkeit: Es muß das Resonanzverhalten (also quasi die Übertragungscharakteristik beider Instrumente (Vorbild und Fake) gemessen werden. Die resultierenden Unterschiede stellen dann die Übertragungsfunktion eines zu implementierenden Filters dar, der dann aus dem Resonanzverhalten der Emulatorgitarre das Verhalten des Vorbildes formt.

Schlußfolgerung:

Den Einfluß von Hals und Korpus nachzubilden, stellt die wohl größte Herausforderung dar. In der Theorie ist sie denkbar, in der Praxis wird die Realisierung mit großem Aufwand verbunden sein und muß für jedes Instrument gesondert betrieben werden.

4. Saiten

Auch die Saiten üben einen Einfluß aus, den jeder schon mal bemerkt hat.
Aufbau, Materialauswahl und Saitenzug sind Parameter, die sich auf die Übertragungseigenschaften der Saite auswirken. Verschmutzungen jede Art wirken sich als zusätzliches Filter mit zumindest einer Tiefpaßcharakteristik aus. Das daraus resultierende Saitenfilter ist nur von theoretische Bedeutung, denn die Saite selber stellt ja auch unsere Schwingungsquelle dar. Sie ist also in Original und Fake (hoffentlich) enthalten.

Schlußfolgerung:

Für die Nachbildung eines Saitenfilters gelten ähnliche Überlegungen, wie für den Einfluß von Hals und Korpus.

5. Anschlag der Saiten

Abhängig von der relativen Position des Anschlages ergibt sich wieder ein Kammfilter. Bezüglich der Realisierung gilt das gleiche wie unter 2.

Darüberhinaus läßt sich durch die Art und Weise wie und mit welchem Material der Anschlag vollzogen wird, die Verteilung der Harmonischen beeinflussen (da spielt doch auch einer mit einer Six-Pence-Münze), was wiederum ein (wohl sehr komplexes) Filter darstellt.

Schlußfolgerung:

Glücklicherweise braucht man sich um den Einfluß des Saitenanschlages bei einer Emulation keine großen Gedanken machen, solange das Instrument sich noch der Saiten bedient.

Soll jedoch eine andere Quelle (Synthesizer) eingesetzt werden, warten hier noch weitere Filter, von denen zumindest das Kammfilter mit vertretbarem Aufwand realisierbar sein dürfte.

Zusammenfassung:

Eine vollständige Emulation einer Elektrogitarre wird es auch in absehbarer Zeit nicht geben!

Bestehende Versuche auf diesem Gebiet beschränken sich auf den Einfluß des Tonabnehmers aus elektrischer Sicht und den Einfluß seiner Position und seiner Breite.

In wie fern die Variax auch Rücksicht auf die Korpuseigenschaften nimmt, ist mir im Moment nicht klar. Eine wie auch immer aussehende diesbezügliche Emulation macht IMHO nur Sinn, wenn das Ergebnis auch bei allen Instrumenten gleich ist.
Da es bei den verschiedenen Variax aufgrund des Materials (ist halt mechanisch eine klassische E-Gitarre) mit Sicherheit zu Unterschieden kommt, müßte die Emulation für jedes Instrument explizit dimensioniert werden.

Bei dem derzeitigen Preis für eine Variax scheint mir der erforderliche Aufwand aus Kostengründen nicht realisierbar zu sein. Jede Variax wäre damit ein Unikat und somit sicherlich in der preislichen Oberliga einer Customized Guitar anzusiedeln.

Wenn man sich alle diese Einflüsse in ihrer Gesamtheit mal durch den Kopf gehen läßt, wird klar, daß die simple Elektrogitarre, bestehend aus einer handvoll Bauelementen, in Wirklichkeit ein hochkomplexes Gebilde darstellt.

Das mag auch der Grund dafür sein, daß es bis heute keine Synthesizer gibt, die eine Gitarre wirklich ersetzen können. Ein Glück für uns, was? :banana:

Ulf
 
DerOnkel":1k0fwyon schrieb:
In wie fern die Variax auch Rücksicht auf die Korpuseigenschaften nimmt, ist mir im Moment nicht klar. Eine wie auch immer aussehende diesbezügliche Emulation macht IMHO nur Sinn, wenn das Ergebnis auch bei allen Instrumenten gleich ist.
Da es bei den verschiedenen Variax aufgrund des Materials (ist halt mechanisch eine klassische E-Gitarre) mit Sicherheit zu Unterschieden kommt, müßte die Emulation für jedes Instrument explizit dimensioniert werden.

Hallo Ulf!
Die Variax modelt das Korpusverhalten mit.
Mit der Workbench kann man aus diversen "Korpstypen" und PU-Bestückungen im Grunde seine eigene Gitarre zusammenstellen.
Hier alle gebotenen Möglichkeiten aufzuzählen würde den Rahmen sprengen.
Gerade für Dich, als Techniker, würde sich dieser "Baukasten" mit all seinen Möglichkeiten m.E. lohnen.


Grundsätzlich sind m.E. die in der Variax gemodelten Gitarren sicherlich mehr oder weniger nahe am Original aber größtenteils durchaus brauchbar.
Ein Original ersetzten können sie nicht.
Ich betrachte meine Variax, als eigenständiges Instrument mit seeeeehr, seeeeeehr vielen Möglichkeiten.
 
Mittlerweile habe ich auch schon von der Workbench gehört und gelesen. Ich muß mich bei Gelegenheit mal etwas intensiver mit dem entsprechenden Patent befassen.

Gleichwohl bleibt diese Korpusemulation immer ein Kompromiss, denn es gibt keine zwei Bodies einer Strat (zum Beispiel) die aus klanglicher Sicht vollkommen gleich sind. Gleiches gilt für den Korpus der Variax. Für die Serienfertigung kann man also nur versuchen, einen möglichst guten Mittelweg zu finden, was ja anscheinend auch gelungen ist.

Ulf
 
Hi,

bei der Internet-Recherche zu genau diesem Thema bin ich auf diesen Thread gestossen.

Nach meinen bisherigen Informationen, dürfte es durchaus im Bereich des Möglichen liegen, eine eigene Modeling-Gitarre herzustellen. Zumindest, wenn man etwas mehr Ahnung hat wie ich und ich denke auf Onkel wird das zutreffen.

Hier beschreibt Angelo Farina eine Methode zur Erzeugung von virtuellen Violinen mittels Faltung. Angelo Farina ist Professor an der Universität Parma und einer der weltweit führenden Experten im Bereich Akustik.

Ich kann vieleicht nicht alle Fachausdrücke korrekt verwenden, aber ich verstehe das Prinzip so:

Das Instrument kann als lineares System verstanden werden, das durch seine Impulsantwort vollständig beschrieben wird. Mit einem Körperschallwandler wird hier die Violine zum Lautsprecher, über den ein Testsignal abgegeben wird. Dieses wird in einem schalltoten Raum aufgenommen, aus dem Signal wird die Impulsantwort ermittelt. Daraus wiederum wird ein Invers-Filter berechnet. Die Berechnung von Invers-Filter ist "keine exakte Wissenschaft" (im Gegensatz zur Ermittlunge der Impulsantwort), es gibt verschiedene Methoden, aber für diesen Zweck gibt es anscheinend sehr gut verwendbare. Wendet man nun diesen Invers-Filter wiederum auf eine schalltot aufgenomme "Performance" auf der Violine an, erhält man "qausi" nur den Klang der Saiten, ohne die klangbestimmenden Faktoren der die Violine (Korpus, etc.). Diese Aufnahme kann man nun, mit beliebigen gemessenen Impulsantworten andere Violinen "falten" und erhält den Klang der entsprechenden Violine.

Hier findet man auch die Ergebnisse eine Hörtests von Angelo Farina. Der Herr steht übrigens nicht im Verdacht, geschönte Ergebnisse zu liefern. Er ist vielmehr eine jener Wissenschaftler, die gerne mal neuartige Methoden veröffentlichen, damit sie keine Firma patentieren kann und sie für alle frei zugänglich bleiben. :-D

Für Akustik-Gitarren ist das Verfahren eins zu eins übertragbar. Man müsste also, die Impulsantwort seiner A-Klampfe ermitteln. Dazu benötigt man einen Körperschallwandler und einen schalltoten Raum. Damit das Ganze Sinn macht müsste man wohl eine Gitarre mit Abnehmer haben. Anstatt eines Mikrofons nimmt man diesen zur Aufnahme der "vom Testsignal klingenden Gitarre". Sonst bräuchte man auch später immer einen schalltoten Raum, so können ermittelte Impulsantworten auf das Pick-Up-Signal angewendet werden. Der ganze nicht unerhebliche Aufwand dient letzlich "lediglich" der Ermittlung des Invers-Filters. Hat man den wirds einfacher. Alle nötigen Software-Tools sind frei verfügbar.

Das "Messen" der IR (engl. für Impulsantwort) von anderen Gitarren, die man "modeln" möchte ist einfacher, da braucht man keinen schalltoten Raum, sondern "nur" eine herkömmliche Studioumgebung. Dort nimmt man ja auch nicht schalltot auf. Ich möchte letztlich auf der Aufnahme ja eine Gitarre in einem akustisch schönen Raum, mit einem guten Mikrofon (vielleicht in Stereo) hören, keine schalltote. Also messe ich die Impulsantwort meines ganzen zu "modelnden" Systems (Gitarre, Raum, Mikro(s), Preamp).

Die Anwendung von solchen durch IRs gemodelten Gitarren würde sich wohl in der Praxis auf Studioanwendungen beschränken. Ich könnte mir durchaus vorstellen, das die Anwendung der IRs auch ohne aufwändig ermittelte Inversfilter gute Ergebnisse liefert. Die Pick-Up-Signale klingen ja deswegen scheisse, weil sie eben fast nichts von den klangbildenden Eigenschaften (Korpus, Raum, etc.) "mitnehmen". Könnte hier ein entschiedener Vorteil sein und IMHO könnten die Ergebnisse weit besser sein, als die im durchschnittlichen Projekt-Studio "Richtig" aufgenommenen Gitarren", vorausgesetzt die IR ist "amtlich" aufgenommen.

Mit E-Gitarren dürfte es etwas schwieriger werden, da man das ganze Wohl für jede Saite extra machen muss, und für die gewünschte "Selfmade Modeling Gitarre" einen hexafonischen Abnehmer braucht. Dann kann man aber wiederum auch die Tuning-Features der kommerziellen Modelle mit implementieren.

Gibt es jemanden, der sich an die Sache rantraut? :-D

Wenn man damit keine Patente verletzt, könnte das durchaus auch ein lukratives Geschäftmodell ergeben. "Schick deine Gitarre, wir messen sie, du erhältst dienen "persönlichen Invers-Filter" und ein Plug-In, das diesen anwendet, und dir IRs von 100 verschiedenen Gitarren (Stereo, Surround) draufrechnet." So ähnlich ;-)


Beste Grüsse,

Uranus

P.S.: Noch ein Link:

http://pcfarina.eng.unipr.it/Public/Pap ... ISMA95.pdf

Wer experimentieren möchte:

http://pcfarina.eng.unipr.it/Public/IMP-RESP/Violins/

Dort sind Impulsantworten von Violinen zu finden, die nach dem Verfahren ermittelt wurden. Jagt doch mal eure Akustik-Pickups da durch...
 
Hi,

im Bereich des Computer-Reording und der virtuellen Effekte/Instrumente ist dieses Verfahren ja mittlerweile durchaus etabliert.
Wie du oben beschreibst, ist das Ergebnis aber immer linear, damit es berechenbar bleibt. Ein lineares Instrument stellt aber einen wissenschaftlichen Idealfall dar. In Wirklichkeit ist das wohl überaus Komplex. Welche Auswirkung hat die Gesamtheit aller Konstruktionsmerkmale eine spezifische Instrumentes (inkl. der verwendeten organischen Materialien) auf das Klangverhalten des Instrumentes?

Die aufgezeichneten Impulse stellen ja Momentaufnahmen dar. Wenn man so will, ein idealisiertes Bild zu einem beliebigen Zeitpunkt. Dieses Bild wird auch immer aufgerufen, wenn zu einem anderen Zeitpunkt eine bestimmte Information aufgerufen wird. Aus verschiedenen Gründen, die nicht nur im Instrument begründet sind, ist es ja kaum möglich, exakt den gleichen Ton zweimal hintereinander zu produzieren. Von Akkorden wollen wir hier mal gar nicht sprechen. Das gilt im übrigen sowohl für die Akustische, wie elektrische Variante. Das bedeutetet für mich, dass man mit entsprechendem Aufwand eine ziemlich gute Emulation eines Instrumentes hinbekommen kann, diese jedoch nicht wirklich ein spezifisches Instrument ersetzen kann


P.S: Ich glaube, für das Geld , was ein o.g. System kosten würde , selbst wenn es in Serie gefertigt würde, könnte man sich mehrere Strats, Gibsoons, PRS etc, pp. kaufen... und hätte im Prinzip keines dieser Instrumente per se ersetzt. ;-)
 

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