Hallo!
ferdi schrieb:
Viele treffen Kaufentscheidungen oder sondern Meinungen ab über etwas, das sie nicht selbst erfahren haben "die Speaker sollen echt gut sein", "weiß doch jeder, dass Callaham die besten Bridges baut", "sind stinknormale Häussel-Pickups drin, die Kloppmann müssen doch besser sein", "hey, das sind TAD-Vorstufen-Röhren, die sind erste Sahne, kannste überall nachlesen, hier ist der G&B-Test" blablabla.
Und dann gibt es noch die, die in jedem Thread über Equipment reingrätschen uind sagen, Equipment oberhalb des unteren Mittelpreissegments wäre eh Quatsch und generell Voodoo und Hype.
Der Vergleich von Plektren, Slides, Effektgeräten und Amps ist sehr einfach. Die wechselt bzw. schaltet man hin und her, wartet auf die Ausschüttung von Glückshormonen und wenn die beim neuen, heißen Teil nicht kommt, behält man seinen alten Kram und bekommt das gute Gefühl bestätigt, als erfahrerer Fachmann eh schon alles zu wissen. Hier bin ich absolut der Ansicht, dass Ausprobieren in kürzester Zeit zu einem handfesten Ergebnis führt - im Gegensatz zu Recherche via Internet oder Musikerstammtisch.
Interessant sind manche Fragen in Gitarrenforen wie "soll ich meinen Compressor vor oder hinter meinen Verzerrer verkabeln?" Hier werde ich nie verstehen, warum das nicht einfach probiert wird.
Das Ausprobieren von Gitarrenteilen ist viel schwieriger. Traue ich mir zu, den Tausch von Teilen an einer meiner Gitarren zu hören? Es kommt darauf an, wie drastisch die Veränderung ist. Wenn ich mir erst eine Vorrichtung bauen muss, die automatisch die Saiten immer mit der gleichen Stärke und dem gleichen Anschlagswinkel des Picks anspielt, das pure Signal aufnehmen und dann am Bildschirm die Kurven vergleichen muss anstatt direkt "wie geil ist das denn" zu rufen, scheint mir irgendwas falsch gelaufen zu sein. Wenn die Glückshormone ausgeschüttet werden, ist es gut - auch, wenn das aus Sicht des Kopfes zu Unrecht geschieht.
Das Dumme dabei ist, dass alle "Tests" auf eine rationale Begründung zielen. Da aber die Bewertung von Gitarrensounds nicht nur eine Sache des Kopfs sondern auch des Bauchs ist, wird das bereits unscharf. Dazu kommen die "doofen Ohren", die jedenfalls an meinem Kopf angewachsen sind.
Ich habe erlebt, dass jemand beim Gitarrenbauer seine Les Paul junior nach einem Pickupwechsel abholen wollte. Er nahm das Ding aus dem Koffer, stöpselte in den Amp, spielte und fing sofort an zu strahlen und zu grinsen und dieses wirre Zeug zu faseln, von wegen viel geiler, Obertöne, Ausgewogenheit, Riesenschritt nach vorne, heiliger Gral. Ich hoffe, ihr kennt diesen emotionalen Ausbruch von euch auch, um diese Emotionalität geht es ja schließlich. Das Dumme an der Geschichte war die Tatsache, dass der neue Pickup noch gar nicht eingebaut war. Als sich das herausstellte, kippte die positive Emotionalität in eine sehr negative und der Kunde verließ mit sehr bösen Worten und Gefühlen die Werkstatt. Er ward dort nimmer gesehen. Schade. Wäre er überzeugt gewesen, einen neuen Pickup in der Gitarre zu haben, hätte das Glücksgefühl angehalten. Doofe, doofe Ohren, doofer, doofer Kopf und doofer, doofer Bauch.
Kommen wir zurück zu den Telebrücken. Es gibt ja gute Gründe, eine Telebrücke auszutauschen. Scharfe Kanten, mangelnde Oktavreinheit, mangelnde historische Korrektheit, zu spitzer Sound, so wabbeliger Ton, zu fett, zu dünn, zu hoch, zu niedrig, zu rot, zu grün. Und hier wird es aus meiner Sicht wieder sehr unscharf. Dazu ein hier nicht exakt passendes Beispiel: Häufig lese ich, dass alleine der Austausch des Tremoloblocks aus der ohnehin guten Strat definitiv den "Custom-Shop-Killer" machen wird. Hier frage ich mich immer, was denn der XY-Block tut oder auch nur tun soll, außer viel Geld zu kosten und selten zu sein. Mit absoluter Sicherheit fällt das unscharfe Wort "besser".
Bei Tele-Brücken lese ich immer wieder, dass irgendeine spezielle Brücke diesen besondern "Twang" machen würde oder "der Anschlagsknack besser rauskommt". Sehr schön und ich gönne dem Eigentümer der Gitarre die Glückshormone. Gerade bei "Anschlagsknack" ist dann eine weiter Ausschüttung programmiert, nämlich beim Testen und Erwerb des Compressorpedals, das dazu dient, den "Anschlagsknack" besser in den Griff zu bekommen. Eigentlich beneidenswert. Erinnert mich an Janoschs Panama.
Kurz: "Ich kaufe mir eine neue Telebrücke. Is´ geiler." Das kann man ja tun. Wenn man aber anfängt, die Ausschüttung der Glückshormone rational begründen zu wollen, muss man auch mit rationalen Gegenargumenten leben.
Gruß
erniecaster