Mad Cruisers Gig-Tagebuch

Hi Jorge,

ich hatte ja kürzlich das Vergnügen, Dir bei 2 Lagerfeuer-Deluxe-Gigs zuzuhören.
Die hatten wirklich was!

Die eine Frage, die ich jetzt noch habe, lautet: Wie viele Saiten hat Sebi in der letzten Woche geknackt? :lol:
 
frank":1aduelz7 schrieb:
Die eine Frage, die ich jetzt noch habe, lautet: Wie viele Saiten hat Sebi in der letzten Woche geknackt? :lol:
Nach jenem Gemetzel auf dem Straßenfest, dem Du beiwohntest, habe ich ihm einen Satz d´Addario EXP geschenkt. Seitdem keine mehr, und meine Solonummern von Hannes Wader und Kris Kristofferson bleiben im Schrank. :cry:
 
Gigtagebuch 9 - Walking Act in Heidenheim

Ja. Wettervorhersagen. Ist ja mal so ´ne Sache damit. Jedenfalls war ich sehr froh darüber, dass sie mal wieder daneben lag. Angekündigt waren bis 21° und mehrfache Gewitter mit teils ergiebigen Niederschlägen, und das ist nicht das, was man sich als Walking Act bei einem Stadtfest wünscht.

Aber erstmal der Reihe nach.

Die CAMPFIRE KINGS sind für zwei Tage gebucht und werden für diesen Anlaß noch durch meinen Partner beim Acousticduo ergänzt. Er und ich hatten uns jeweils einen Roland Cube Street erworben. Hans, der dritte Gitarrist und Sänger, war mal wieder zu geizig. Als ausgesprochener Messi und Ebay-Süchtling hat er ein ganzes Lager von sogenannten Schnäppchen in allen Stadien des Verfalls, aber billig ersteigert. Er hat also einen zweikanaligen Acoustic Combo mit einem 12V Akku und einem Converter ausgerüstet, auf dass er wie wir netzunabhängig würde. Leider wiegt das Ding mit seinen Geschwüren jetzt ungefähr so viel wie der Mannheimer Hauptbahnhof.

Mit zwei Fahrzeugen angereist; nur einen winzigen Stau am Weinsberger Kreuz gehabt, zeitgerecht eingetroffen und im Hotel eingecheckt. Der Bandbetreuer der Stadt Heidenheim macht mit uns und zwei weiteren Bands einen Rundgang im Katastrophengebiet: die durchaus überschaubare Fußgängerzone Heidenheims, an deren beiden Enden jeweils eine ordentliche Bühne mit PA platziert ist, die ab 20:00h einerseits mit einer 12-köpfigen Abordnung der DICKEN KINDER aus Stuttgart, andererseits ab 19:00h mit einem lokalen Act und anschließend einer Italopopshow abdröhnen.

Es handelt sich um ein Experiment. Die in den vorausgegangenen 28 Jahren des örtlichen Stadtfestes verkrusteten Strukturen mit Bühnen an festgelegten Plätzen und einem Zeitplan, welcher Act wann wo auftritt, wird durch die Methode Clint Eastwood ersetzt: 28 Musiker reiten in eine Fußgängerzone, der Rest ergibt sich. Mit uns am Start sind eine Klezmertruppe und ein balkanisches Blechblasensemble, die wie wir von der Stadt engagiert sind. Geringfügige Komplikationen enstehen weiterhin daraus, dass auf Privatinitiative hin noch ein südamerikanisches Indiokollektiv mit einem Generator, einer veritablen Sammlung historischer Panflöten sowie einem spuckenden Lama in der Mitte der Fußgängerzone stationär eingegraben ist.

Nun ja. Die Tiefgarage unterhalb des Rathaus-Centers, eines mächtigen Gebirges und ganzen Stolzes der Kleinstadt, nimmt unsere Fahrzeuge auf. Wir machen einen kleinen Funktionscheck in diesem lauschigen Ambiente mit dem wunderbaren 20 Sekunden Naturhall, was unverzüglich den schwäbischen Sicherheitsdienst herbeiruft: „Noi, dess ganget itte!“ oder ähnlich klingt das im Eingeborenenidiom. Immerhin konnte ohne Hilfe eines Dolmetschers vermittelt werden, dass auch wir städtische Bedienstete seien, wenn auch mit stark befristetem Vertrag. Die Szene erlaubt mir den ersten ungehinderten Blick auf das Setup des Schlagwerkers, den ich ob seiner Kreativität von allen am meisten liebe. Es besteht aus einer Fußmaschine, die mit Stricken an einer rechteckigen 35 l Klarsichtbox mit Deckel angeseilt ist, einer fußbedienbaren Cabasa, dem Fell und Spannreifen einer Conga und zwei Becken mit maximal 8“ Durchmesser.

Das Intermezzo mit der schwäbischen Security hat uns so erschüttert, dass wir vor Arbeitsbeginn unbedingt noch einen Milchkaffee einnehmen müssen. Dabei zeigt uns Sebi, mein Duopartner, voller Stolz seinen leicht angeschwollenen roten Unterschenkel und den Fuß, der nur mehr in offenes Schuhwerk hineinpaßt. Seit vierzehn Tagen leidet er an einer Entzündung unklarer Herkunft - möglicherweise ein infizierter Insektenstich - nimmt Antiidiotika, die nichts bewirken, und hofft auf Linderung. Nach der Getränkeeinnahme stellen wir mit großer Verwunderung fest, dass die geschätzten Kollegen inzwischen alle halbwegs aussichtreichen Plätze in Beschlag genommen haben. Fahrende Musikanten, das sind wir. Unsere zwei Plattformwägelchen schieben wir also durch die dichter werdende Menschenmasse, den Gigbag auf dem Buckel und den Mikroständer in Vorhalte.

Stunden später.

Um ein Uhr in der Nacht hatten wir fünf Halbstundensets gespielt und das Areal ca. sechzehnmal umrundet. Dabei haben wir festgestellt, dass batteriebetriebene Verstärkerlein auch im halben Dutzend nicht in der Lage sind, sich innerhalb von 100 m Entfernung gegen die PA der Hauptbühne durchzusetzen, dass Hans mit seiner Geschwürlösung diesmal eindeutig zu geizig war (sie hat nämlich den dritten Set nicht überstanden), dass Wandern nicht des Sebis Lust ist und sein Haxen dicke Backen macht, sowie dass sich weder Fleischkäsebrötchen noch Hähnchendöner schwäbischer Provenienz geschmacklich wesentlich von unseren heimischen unterscheiden. Immerhin: die versprochenen Gewitter ließen sich nicht blicken, und mein verschwitztes T-Shirt deutet auf eine Temperatur oberhalb der versprochenen 21°. Einige Eingeborene machten uns sogar Komplimente! Das Gerödel in die Autos, noch zwei Absackerbierchen und dann in´s Hotel. Kaum angekommen, brach das Gewitter los. Glück gehabt!

Etwas später konnten wir feststellen, was „zentrale Lage“ bei einem Hotel bedeutet: Der Krankenwagen brachte die Alkoholleichen mit Blaulicht und Martinshorn direkt unter unserem Fenster vorbei in die Umfallmeldestelle. Wenn Schwaben samstags nicht ab dem frühen Vormittag ihrer Kehrwochenpflicht nachkommen, kaufen sie zu Tausenden ein. Dies tun sie vorzugsweise mit motorbetriebenen Fahrzeugen, und in Heidenheim gibt es offenbar nur einen einzigen Weg zu Parkplätzen. Ihr dürft gerne raten, wo dieser verläuft... So geschah es, dass ich doch noch zum Frühstücken kam, was ich eigentlich zu verschlafen gedachte. Inzwischen hatte Hans sein Verstärkergeschwür zerlegt und die Einzelteile in unserem Zimmer ausgebreitet, war unterwegs und lieh einen Lötkolben nebst Zubehör. Er fand eine gebrochene Lötstelle und reparierte sie. Auf dem Rückweg von der Rückgabe der Lötstation brachte er mit: 1 Paar Schuhe, 1 Silikonklebepistole, 1 Verlängerungskabel 10 m, 1 Dreifachsteckdose, sowie 1 VOX DA 5 Digitalcombo. Geiz ist eben geil! Ich selbst begnügte mich mit einem Tiefflug durch eine ortsansässige Buchhandlung.

Von 09:00h bis 14:00h gab es pünktlich alle halbe Stunde einen ordentlichen Platzregen. Wir warteten dessen Nachlassen beim zweiten Frühstück ab, verfügten uns dann an den Aufenthaltsort der Klezmeristen, die uns ein kuscheliges Eckchen mitten in der Fußgängerzone warmhielten. Bei ihrem Abzug waren wir sofort zur Stelle und die Sonne ebenfalls. Aufgebaut war gleich, die Hauptbühnen lagen noch im tiefen Schlaf und unsere Batteriegurken durften endlich mal sachgerecht hupen. Plötzling klang das richtig gut! Es sammelten sich die erwarteten Menschentrauben um uns, und nach einem exzessiven Solo des Schlagwerkers brodelte die Masse. Der Kaffeehausbesitzer von schräg gegenüber konnte sich nicht halten vor lauter Begeisterung und versorgte uns mit Kaffee und Cappuccino, und alle Versuche der Kollegen, uns unseren Standort streitig zu machen, wurde unter Hinweis auf Sebis Haxen erfolgreich abgeschmettert.

Letzterer, der Haxen nämlich, nahm inzwischen den Umfang einer Wassermelone an, drohte zu platzen und machte alles in allem gesehen mächtigen Ärger. Wir waren zu der Auffassung gelangt, dass dies nicht nur Sebis Befinden, sondern auch unsere Performance beeinträchtigte. Der Schlagwerker packte Sebi in´s Auto und brachte ihn zum Notdienst. Inzwischen gaben wir zu dritt unser Bestes und setzten die Veranstaltung fort, nachdem wir uns mit dem städtischen Organisator in´s Benehmen gesetzt hatten. Um dreiviertel sieben waren die beiden anderen zurück. Man wollte Sebi gleich im Krankenhaus behalten, was er aber abgelehnt hatte. Wenn, legt man sich doch zuhause nieder und nicht ausgerechnet in Heidenheim! Der Bandbetreuer betrachtete den in Eispackungen eingewickelten Fuß, unsere betretenen Gesichter und entschied auf sofortigen Abbruch. Er versicherte uns seines uneingeschränkten Wohlwollens und stellte fest, dass die Gesundheit vorgehe und wir unseren Bandkrüppel so schnell wie möglich nach Hause expedieren sollten. Und so geschah es, dass wir zum ersten Mal in vierzig Jahren einen Gig von uns aus abbrachen – sonst taten dies immer die Ordnungskräfte!
 
Lese ich doch immer gerne deine Berichte. Hoffe dem Sebi gehts bald besser!
So eine mobile Verstärkerlösung sollte ich auch mal andenken. Das könnte da und dort spontan recht lustig sein.

Lg
Auge
 
So einen dicken Knöchel hatte ich auch mal. Von einer Zecke. Aber keiner Linken, sondern einer Infizierten. Da half dann jede Menge Cortison von innen und von aussen. Lecker.
Jedenfalls Respekt vor eurem Schlagzeuger.
 
Tach zusammen!

Mit Gigs ist das ja bei mir so eine Sache. Dieses Jahr läuft es sehr schleppend; nur manchmal, manchmal wünscht man sich, zugleich an mehreren Orten sein zu können. Am letzten Samstag hätte ich vier Gigs spielen können. Den Geburtstag mit dem Akustikduo habe ich gleich meiner Vertretung überlassen, dann waren es noch drei. Zwei Gigs an einem Tag hatte ich ja schon ein paarmal: nachmittags zwei Stunden auf dem Stadtfest, und Abends in einer Kneipe, oder 1. Band auf dem Stadtfest in Speyer und letzte Band in Hockenheim im alten Fahrerlager. Drei wären persönlicher Rekord gewesen, aber ein gnädiges Schicksal und Zickenalarm haben dies verhindert.

Also. Es ging um folgendes : die Bluesband sollte von 12:00h – 14:00h im ärmlichen Einkaufszentrum einer ärmlichen Vorstadt spielen. Dann war geplant, von 15:30h bis 18:00h bei einer flächendeckenden Veranstaltung des Einzelhandelsverbandes in der Innenstadt mit der gleichen Band zu spielen, und dann war eine andere Formation abends für die 15. Musiknacht in Heidenheim angefordert worden. Hhhhhmmm. Etwas knapp, dachte ich schon, aber das Schicksal hatte ein Einsehen, und die beiden Zicken vom Einzelhandelsverband und der Location konnten sich nicht einigen, so dass der Rekordversuch im Ansatz steckenblieb.

So stehe ich denn am Samstag zu nächtlicher Stunde um 09:30h auf, versuche inneren Halt durch Aufnahme fester Nahrung und heißen Tees zu gewinnen und begebe mich zum für 11:00h anberaumten Soundcheck. Ich hätte bequem noch ein wenig liegenbleiben können, da bis 12:00h ein als Jazztrio angekündigtes Quartett fleißig das Real Book abspulte. Das haben sie zwar fein gemacht, stießen aber beim eingeborenen Präkariat auf recht wenig Gegenliebe. Immerhin hatten sie fünf nahezu enthusiasmierte Zuhörer, nämlich das komplette Personal des BLUES HOTEL. Nachdem sie ihren Set beendet hatten, enterten wir die Bühne und begannen unsere Show ohne Soundcheck. Auch Monitore benötigten wir nicht, da von der in 5m Entfernung der Bühne gegenüberliegenden Glaswand, der herrlich schlichten Betondecke und dem Kunststeinboden genügend Signal auf uns zurückgeworfen wurde. Der Veranstalter, Apotheker und örtlicher Intellektueller, war begeistert und begann beim dritten Titel zu tanzen. Allein die mittlerweile versammelte Schar vereinigter Kleinstterroristen - mit bunter Pappe in Richtung Blumen veredelt - welche wohl die Insassen der beiden lokalen Aufbewahrungsstätten waren, wurden unruhig. Es war ihnen von unbekannter Seite zugesichert worden, sie dürften unseren Set mit einer Kollektivdarbietung unterbrechen.

Nun denn. Das gab mir Gelegenheit, in die benachbarte Bäckereifiliale mit Stehcafé zu schlurfen und mir einen Cappuccino zu holen. Nachdem die bunte Schar – nicht nur wegen der Pappe, es waren auch fast alle Pigmentierungen der bekannten Menschheit vertreten und sie waren allesamt die bedauernswerten Opfer eines Kinderschminkwettbewerbes – sich zufrieden getrollt hatte, durften wir weitermachen. Nicht, dass es jemanden interessiert hätte! Außer dem Apotheker. Der tanzte. Nach Beendigung unserer Bemühungen versprach er sogar, uns weiter zu empfehlen.

Gut. Das war also der erste Teil. Ich packe meine paar Gerätschaften, eile von dannen und hole den Kollegen Hans - den Sänger und Begleitgitarristen der anderen Formation - ab, auf dass wir uns ungesäumt nach Heidenheim verfügen.

Die Fahrt war ereignisarm und wir treffen zehn Minuten vor 17:00h ein, also überpünktlich. Da wenige Minuten später das zweite Fahrzeug mit der Rhythmusgruppe in die Fußgängerzone rollt, sind wir komplett. Unser hiesiger Gastgeber, Inhaber einer ortsbekannten Konditorei, hatte uns namentlich angefordert. Wir hatten im vergangenen Jahr als Walking Act gegenüber seines Etablissements offenbar erheblichen Eindruck auf ihn gemacht. Entsprechend überschwänglich begrüßte er uns und nötigte uns, zur Begrüßung ein Hausbier zu nehmen, das er in begrenzter Menge jedes Jahr neu mit dem Braumeister einer örtlichen Kleinbrauerei auflegt. In der Tat, sehr lecker und extrem süffig! Das Café war bereits ausgeräumt, der regionale Großbeschaller hatte eine nur wenig überdimensionierte Klein-PA aufgebaut. Sein anwesender Repräsentant ist ein hilfsbereiter, flinker junger Mann, der die übersichtliche Mikrophonierung vornimmt: 3 x vox, 1 x kick, 1 x ac guitar über DI. Hurtig ist der Soundcheck erledigt, der dienstbare Geist verzieht sich und wir bewegen unsere Fahrzeuge in die Tiefgarage, da es sich anläßlich eines solchen Events in Heidenheim nicht anbietet, den Wagen oberirdisch zu parken. Bei der Einfahrt sehe ich noch den Aufkleber: Heute bis 02:00h geöffnet! Na ja, denke ich mir, ist ja noch ´n bißchen hin! Dann begeben wir uns zu Fuß in´s Hotel und checken ein.

Ein Stündchen später hatte uns die Chefin zum Essen eingeladen. Sie hatte – extra für uns! – Bratwürste und Kartoffelsalat gemacht und ich kann dazu nur sagen: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Immerhin lassen zwei weitere uns von ihrem Gatten dazu aufgedrängte Biere das Mahl irgendwie innerhalb des Körpers nach unten rutschen und beseitigen vordergründig ein Hungergefühl. Lecker! Seeeeehr süffig, das Bier! Noch ein kleiner Rundgang durch die Innenstadt, und um halb neun beginnen wir.

[Exkurs: dazu muß ich ein wenig ausholen. Hans, der Sänger und Begleitgitarrist, kann sich keine Texte merken. Abläufe auch nicht. Ebenfalls nicht ein eventuelles Programm. Eigentlich kann er sich gar nichts merken, außer, wann wo gespielt wird und wie viel Gage es gibt. Wir haben deshalb vor langer Zeit jegliche Probe abgelehnt. Es hat einfach keinen Zweck. Da kann man genausogut an Ackermanns soziales Gewissen appellieren. Meine Lieblingsrhythmusgruppe und ich sind das aber gewöhnt, und es läuft dann immer folgendermaßen ab: die Hände von Hans fangen selbständig ohne Beteiligung des Bewußtseins an, Akkorde zu spielen. Während Hans noch überlegt, um welchen Song es sich handelt, und wenn er ihn erkannt hat, wie nochmal die erste Textzeile lautet, haben wir den Song identifiziert, geprüft, in welcher Tonart er diesmal gespielt wird und es groovt bereits. Gelegentlich kommt es natürlich vor, dass ich feststelle, dass eigentlich bei diesem Titel die Slidegitarre vonnöten wäre. Dann kann ich mir immer noch überlegen, ob es sich zu wechseln lohnt, oder ob ich das jetzt eben mal anders spiele. Mitunter passiert es auch, dass Hans einen anderen Song meinte, als wir ihn bereits spielen. Er bleibt dann bei seinem Vorhaben, und wir verpassen dem Ding eine Komplettrenovierung. On the fly. Soli sind nicht abgesprochen, sie passieren: immer, wenn Hans mir zunickt, weil er die nächste Strophe vergessen hat, spiele ich ein Solo. (Meine Herren: einige Dutzend Gigs mit Hans stählen. Ungemein.) Wenn er die Schultern zuckt, wenn ein Song zu Ende ist, schaue ich auf einem Zettel nach, was wir irgendwann schon mal gespielt hatten und souffliere einen Titel. In seltenen Fällen fängt er auch einen Song an, den wir noch nie zusammen gespielt haben. Das ist dann die Kür. Auf diese Weise ist natürlich jeder Gig einzigartig und unwiederholbar, praktisch ein Gesamtkunstwerk. Jedenfalls sorgt es dafür, dass man konzentriert bleibt und der Blutdruck nicht allzusehr absinkt. Exkurs Ende.]

Wir spielen und spielen. Zunächst viel Laufkundschaft, die sich im Laufe des Abends konsolidiert. Auf erfreulich hohem Niveau. Die Stimmung ist prima, das Publikum ausgelassen und bereit, sich auf unsere Spontanakrobatik einzulassen und ab dem dritten Set fühlt sich der Wirt bemüßigt, regelmäßig weitere vier Flaschen seines Spezialbieres bei uns abzuladen. Es ist wirklich ungemein süffig! Lecker! Mann, sind wir heute wieder gut zusammen! Ein Wunsch aus dem Publikum wird spontan abgearbeitet, Hans fällt mal wieder ein Song ein, den wir mal irgendwann vor dem Krieg gespielt haben und wir bieten eine schweißtreibende Rock & Rollshow, der es zwar an Perfektion mangelt, die aber dafür schön „authentisch“ ist, wie man dazu gerne euphemistisch sagt. Das Publikum zappelt und ist begeistert und wir spielen und der Chef bringt Bier und wir spielen und irgendwann sind wir leergespielt und das Publikum ist patschnaß und das Bier ist fast alle. Noch eine allerletzte Zugabe, die große Verbeugung, und das war´s.

Nicht ganz. Der Schlagzeuger ist verschwunden, der Bassist packt zusammen, Hans sitzt an der Bar und ich schnappe mir, nachdem mir der Wirt noch ein Bier zur Aufbewahrung anvertraut hat, die Akustikgitarre und erfülle Publikumswünsche. Vom Teleskop zum Mikroskop! Ein Gast outet sich als Kneipier aus dem Nachbarort, er will uns sofort für das nächste Wochenende buchen. Der Schlagzeuger erscheint und verstaut sein kleines Set im Fahrzeug, während ich noch ein letztes Bier zu mir nehme – Mensch, ist das süffig! Ein Blick auf die Uhr beruhigt mich ungemein: ich muß jetzt nicht mehr fahren, weil es fünf nach zwei ist und mein Spinnerauto sicher im Parkhaus steht. Das Fenderlein, das Köfferchen und die zwei Gitarren passen bis später auch noch beim Drummer in´s Auto. Also trinke ich noch ein Bierchen – sehr, sehr lecker! Und süffig auch! – und dann wackeln wir in´s Hotel.

Um halb zehn sind wir beim Frühstück. Die Kollegen der Rhythmusgruppe haben es etwas eiliger als Hans und ich. Sie stellen unsere Gerätschaften im Flur des Hotels ab und begeben sich auf die Heimreise. Noch´n Obst, noch´n Ei, noch ´n Kaffee, noch´n Brei, dann noch ein Toilettengang, damit ich nicht während der ganzen Heimfahrt auf einem Vorkommen sitze, und dann schlendern wir gemütlich zum Parkhaus.

Jawohl, zum Parkhaus. Zu dem, was bis 02:00h offen hatte. Das gleiche, aus dem der Schlagzeuger fünf vor zwei noch seinen Wagen geholt hatte.
Das Parkhaus, das in diesem Kleinod der Diaspora, auf diesem Gipfelpunkt schwäbischer Kehrwochenordentlichkeit Sonn- und feiertags geschlossen ist.

Hans zückt sein Handy. Die erste Notrufnummer: niemand meldet sich. Die zweite Notrufnummer: uffff. Ob wir denn das nicht gelesen hätten, dass um 02:00h zu sei. Doch haben wir. Aus irgendeinem Grunde dachten wir aber, es liefe so wie in unserer Heimat, wo am nächsten Tag die Türen wieder aufgehen. (Wobei sie bei uns erst gar nicht zugegangen wären). Er täte schon kommen, aber das täte kosten. Nun denn, es sei. Der mittelalte Notdienst kommt und läßt uns das Auto holen. Den Zwanziger nimmt er wortlos und ohne Quittung. Auf die Frage nach der ersten Notrufnummer meint er, das sei ein junger Kollege, der noch schlafe. Wir bedanken uns und verlassen den gastlichen Ort. Die Heimfahrt verläuft ohne besondere Vorkommnisse.

Das Erstaunlichste an diesem Wochenende: der Apotheker hat uns tatsächlich weiter empfohlen, und ein zusätzlicher Gig ist fest gebucht.
 
Moin Jörg,

YMMD - wie immer sehr köstlich formuliert dein Bericht :lol:

Die Geschichte mit dem Parkhaus kommt mir bekannt vor, nur dass wir fast 2 Stunden warten mussten bis die 'Rettung' kam.


....na dann auf weitere gute Gigs mit Spannung :cool:
 
Gigtagebuch Teil 11 - Heute mal kein Gig, sondern Audition

„Gesuch! Gitarrist/in für ambitionierte Band/ Raum/MA-HD!!
Hallo, DRINGEND! Wir suchen einen versierten Gitarristen der ein breites Spektrum hat! Wir (3xGesang, Keyboard, Bass, Schlagzeug) mit VIEL Potenzial und noch mehr Spaß, suchen zur Vervollständigung unserer Band eine, en Gitarrist/in! wir machen Cover- Pop/ Rock/ Funk, Jazz, Soul. also ein Breites Musikalisches Spektrum. Vielleicht hast du ja Interesse in einer tollen Band mitzuwirken bei der schon einige Gigs anstehen, und noch dazu eine Tolle Truppe ist :). Auftrittsmöglichkeiten, Proberaum, Spaß und gt. Laune so wie sgt. Connections sind vorhanden! Bitte meldet euch!“


Das war die Anzeige, die mein Interesse weckte. Breit ist nicht nur mein SpeckTrum, und in einer tollen Band wollte ich schon immer mal spielen. Anstehende Gigs ziehen mich ohnehin magisch an!

So wurde denn flugs ein Termin zum Vorspiel vereinbart. Aber nicht ohne folgende Anekdote: Die Frage nach meinem Alter beantwortete ich zutreffend, jedoch leicht unpräzise mit 50+... Aussage des Bassisten:
„... über 50J würde aber ganz schön unsere Altersschnitt nach oben schrauben, da musst du aber schon gut sein ;-)“

Da der Keyboarder noch in Urlaub weilte und die Leadsängerin am Wochenende heiraten wollte, habe ich das vorsichtshalber um eine Woche verschoben und zwei Kollegen die Chance zum Glänzen gegeben. Da sich die Band nach jenem Termin noch nicht festgelegt hatte, habe ich dann mal mit den mir aufgegebenen Stücken begonnen:

- Long train running / Doobie Brothers
- Rebel yell / Billy idol
- Heavy cross / The Gossip
- Message in a bottle / Police
- Sex on fire / Kings of Leon

Die Ansage war
„Wir sind eine Cover Band die sehr viel wert auf eine genaue und gute Umsetzung der Songs legt. Wir möchten uns auch einfach von der breiten Masse an Cover Bands abheben, und dass gelingt uns auch recht gut.“

Beim Anhören der Titel denke ich: Wow! Die haben einen Plan! Die wissen, was sie von ihrem zukünftigen Gitarrenmann hören wollen und haben sich die Nummern herausgepickt, wo sie ihn an den Eiern packen können! Vorneweg zum Einlullen die Doobies, und dann achten wir mal auf´s Filigrane...

Ja, dann.

Nachdem man sich gegenseitig am Vortag noch versichert, dass der geplante Termin stattfindet, begibt sich dieser greise Pentatoniker pünktlich zum Ort der Veranstaltung. Es ist dies eine über Außentreppe erreichbare im 1. OG gelegene unbelüftete Schuhschachtel von ca. 15qm zum Vorzugspreis von 190,- Euro/mtl. Anwesend sind der Bassist, mit dem ich telefoniert hatte, und der Schlagzeuger, dazu 1,5 Schlagzeuge, eine Bassanlage mit 8 x 10“ Box, ein kleines Behringer-Pult und zwei 12/2 Boxen. Ach ja, ein herrenloses Keyboard stand noch in einer Ecke.

Die Sängerin verspätet sich um eine halbe Stunde, der Keyboarder hat Nachtschicht, die zweite Sängerin kommt nur alle 14 Tage wegen der Kinder, also heute nicht, und der Sänger hat kurzfristig abgesagt wegen Issnich.

Wenn ich das gesagt hätte, was mir auf der Zunge lag, hätte ich meinen Zentera später alleine die Treppe wieder ´runterwuchten können... (Übrigens: warum den Boliden? Auf meine Frage, wie leise denn geprobt werde, oder ob sogar direkt in´s Pult, kam die Antwort:
„unser alter Gitarrist hat über einen Marshall gespielt und der letzte
Gitarrist der mit einem kleinen Combo vorgespielt hat, hatte das ding abgefackelt;-) Also wir Proben jetzt nicht Tierisch laut. Dass Schlagzeug ist zwar etwas Gedämmt, hat aber immer noch ne gewisse grundlautstärke und keinen Lautstärkeregler;-)“

Das brachte mich in´s Grübeln, und ich wollte auf Nummer Sicher gehen. Der ehemalige Gitarrist spielt nämlich hauptberuflich in einer Judas Priest-Coverband.)

Wohlan denn!

Bis zum Eintreffen der Sängerin überlegen wir gemeinsam, welche Stücke, vorbereitet oder nicht, denn probiert werden könnten. Wir müssen uns ein wenig beeilen, denn um 21:00h kommt ein Kollege, der sich ebenfalls um den Job bemüht.

Das Mädel trifft ein, und wir beginnen. Ja, sie trifft den Ton. Sie liest zwar die Texte ab, intoniert aber sauber. Ungefähr wie jede beliebige Göre von Juni bis Silbermond, Jeannette Ackermann, Christina Außenstürmer, Luxuskrach oder dergl. Warum sie meint, sich ausgerechnet an Heavy Cross versuchen zu müssen, bleibt mir rätselhaft. Das Original ist nun weiß-der-Himmel nicht die Jahrhundertstimme, zu der sie mitunter ausgerufen wird, aber das hier ist ein lauwarmes Lüftchen. Wenn das Mädel Titten hätte wie Selbstbewußtsein, würde sie vornüber kippen. Da der Drummer und ich uns ziemlich streng am Original orientieren und der Bassmann mit seinem 5-Saiter ebenfalls Luft bewegt, klebt sie beim Refrain mit dem Rücken an der Wand. Jo-ho, jo-ho!

Message in a bottle geht irgendwie noch, bei Long Train Running singe ich sie ohne Mikrophon in Grund und Boden, obwohl ich keine besonders kräftige Stimme habe.

Mag ja sein, dass sie Beziehungen haben und ein paar ordentliche Gigs an Land ziehen können, wenn mal zufällig alle beisammen sind, aber ich glaube, davon soll ein Kollege profitieren.

Ach, übrigens: die Titelauswahl, die ich hoffnungsfroh und zuversichtlich als Absicht interpretierte, einen neuen Gitarristen schonmal bei der Audition an die Grenzen zu führen, um alsdann mit ihm mit Herz, Hirn und Arsch gemeinsam zu musizieren, war nichts als reiner Zufall. Wieder reingefallen!
 
therealmf":274ey7l6 schrieb:
gib mir doch mal die Telefonnummer...ich kann die Stücke auch!
Geht nicht wegen Datenschutz. :cool:
therealmf":274ey7l6 schrieb:
Ich fahr da hin, hol mir den Job, spiel einmal mit denen in jedem Club zu dem sie connections haben und boote sie anschließend dort aus...;-)
Ich kann ihnen ja mal Deinen Vorschlag weiterleiten... :roll:
 
mad cruiser":2ru0nync schrieb:
Die Sängerin verspätet sich um eine halbe Stunde, der Keyboarder hat Nachtschicht, die zweite Sängerin kommt nur alle 14 Tage wegen der Kinder, also heute nicht, und der Sänger hat kurzfristig abgesagt wegen Issnich.
Hi Mad,

ich glaube an der Stelle hätte ich die Contenance verloren.
Ansonsten: Schöne Abenteuer berichtest Du da. Fast schade, dass ich seit einem viertel Jahrhundert mit den gleichen Typen zusammenspiele, da verpasst man doch so einiges, und manchmal fühlt man sich fast ein wenig alt.
Da hast Du es besser, Du bist es. :lol:
 
mad cruiser":3hzstlua schrieb:
...

Wieder reingefallen!

Na... so haben wir wenigstens wieder was zu lesen... :banana: ...vielleicht sind da ja Jungs dabei die hier auch lesen und Deine Kolumne kennen... die wollten Dir mal wieder etwas als Schreibvolagen geben... :lol:

...wie langweilig wenn das klappen würde =) ...das würde sich dann in etwa so lesen: angerufen, Termin und Setlist abgesprochen, hingefahren, alle pünktlich da, vorbereitet, Bomben-Mugger, 1A Equipment und Superproberaum, Job bekommen, rock on... :winke:

Cheers, mate... :top:

Viele Grüße,
PIT... :cool:
 
mad cruiser":3qnq8khf schrieb:
Gigtagebuch Teil 11 - Heute mal kein Gig, sondern Audition

.... Wieder reingefallen!

Du Armer, darauf werden wir dan in Kürze ein bis mehrere Kaltgetränke Deiner Wahl zu uns nehmen.
Das Leben ist voll die ... ;-)
 
mad cruiser":ajuxv4jt schrieb:
Gigtagebuch Teil 11 - Heute mal kein Gig, sondern Audition
.......

Super Amüsant geschrieben. Wobei es in der Situation whrscheinlich nicht so amüsant erscheint wie hier.
Mir wäre "s g'impfte aufgaunga" .... falls ihr wisst was ich meine.

Ich wünsch dir mehr Glück bei kommenden Auditions.... ;-)
 

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