Pfaelzer":8b2ciszn schrieb:
Es ist eine gar schwierige und unbequeme Position, bei einer so emotional geführten und von politischen Standpunkt beeinflussten Diskussion Subjektivität auszuschließen und nur auf Fakten fussend zu argumentieren, da mir bei solcher Argumentationsweise gerne eben Neoliberalismus vorgeworfen wird bzw. einfach Klugscheisserei. Fakten sind halt scheisse gegenüber emotionalen und politisch gefärbten Argumenten.
Ich verstehe die Dichotomie Fakten vs. politischer Standpunkt nicht. Wirtschaftliche Fakten gibt es ohne politische Standpunkte nicht. Wirtschaftswissenschaft ist keine Naturwissenschaft insbesondere, da sie durch Beratungstätigkeit die Realitäten, die sie untersucht wesentlich mit erzeugt.
Wirtschaftliche Vorgänge sind meines Wissens sozial erzeugte Vorgänge. Also Vorgänge, die nur und ausschließlich im Sozialen existieren. In einer funktional differenzierten Gesellschaft ist Politik aber eines der wichtigsten Elemente der Sozialität. Politik und Wirtschaft sind in der modernen Gesellschaft vollständig interdependent, können ohne einander nicht existieren und sich nicht gegenseitig ersetzen. Gesellschaften, die ohne eine Politik in unserem Sinne auskommen (z.B. Somalia), haben auch keine Wirtschaft in unserem Sinne.
Für die Akteure mag es zweckmäßig sein anzunehmen, dass die vorgefundene Form der sozialen Organisation von Wirtschaft irgendwie natürlich oder naturgesetzlich ist. Dabei werden meist insbesondere die den eigenen Zielen dienlichen Faktoren als zwangsläufig und natürlich angesehen, die abträglichen Faktoren aber als eine unübliche Störung oder als ein unzulässiger Versuch der Einflussnahme.
nolinas":8b2ciszn schrieb:
Das ist real. Egal ob das eine großlettrige Tageszeitung, eine anspruchsvolle Wochenzeitung, Klapsmühleninsasse oder ich das sagt.
Es ist m.E. sinnvoll zwischen verschiedenen Realitäten zu unterscheiden. Selbst wenn alle Menschen sich entschlössen die Schwerkraft zu ignorieren, wäre sie immer noch da, der Mount Everest verschwindet nicht, nur weil niemand hinguckt. Wenn alle Menschen Banken, Geld oder Steuern ignorierten wären sie aber nicht mehr da (aus Rücksicht auf Auge erspare ich mir an dieser Stelle den hier üblicherweise stehenden Exkurs zur Religion in voller Breite, nur zur Kirche

.
Im Mittelalter war das kirchliche Zinsverbot eine wirtschaftliche Realität, mit der die Akteure umgehen mussten. Heute spielt es keine Rolle mehr, einfach weg.
Pfaelzer":8b2ciszn schrieb:
Wie mein VWL-Prof zu sagen pflegte: "Die Marktwirtschaft ist nicht das vorherrschende Wirtschaftssystem, weil sie besonders human, gut oder effektiv ist. Sie ist nur das einzige System, das bei der egoistischen Bestie Mensch funktioniert."
Eines meiner Lieblinge: Wenn das eigene Pferd vorne liegt, das Rennen anhalten und sagen: "Hier ist das Ende der Geschichte!"
Natürlich waren über weite Zeiträume des Mittelalters alle maßgeblichen Fachleute davon überzeugt, dass der Feudalismus die einzig funktionierende Gesellschaftsform sei, wie ja die Entwicklung des römischen Reiches und die anschließende Völkerwanderung gezeigt hätten.
Und wer weiß: vielleicht haben sie ja irgendwann auch wieder recht ...
Ich will hier gar keine Stellung beziehen, die Krise ist wie meine Nachbarn: unschön aber nicht zu ändern und mir fällt auch gerade nichts besseres als Marktwirtschaft ein, aber als Germanist und Physiker bin ich dafür auch überhaupt nicht zuständig ... wollte nur mal sagen, dass Geldmengentheorien und Plattentektonik erkenntnistheoretisch vollständig andere Baustellen sind.