Wie kommt der Sound in die Finger ?

Hallo!

Kleines Experiment: Fahrt mal mit einem Fahrrad um eine Kurve und zwar gerade so schnell, dass ihr nicht auf die Fresse fallt. So. Und jetzt stellt euch vor, dass ein Fußgänger entgegen kommt, dem ihr ausweichen müsst. Bremsen, lenken, Gewichtsverlagerung - in Bruchteilen von Sekunden.

Wer genau macht das? Das Kleinhirn. Das wunderbare Kleinhirn steuert eure Bewegungen.

Wer häufig die gleiche, längere Strecke Autofahren muss, kennt das vielleicht. Man kommt ins Grübeln, denkt an das eine oder andere (und zwar im Großhirn) und plötzlich ist man fast zuhause und hat überhaupt keine Erinnerung an die letzten hundert Autobahnkilometer. Das Kleinhirn ist gefahren.

So. Lasst uns dem Kleinhirn beibringen, den Ton zu formen. Das geht, indem man erstmal den Ton ganz bewusst (Großhirn) weich, warm und rund spielt. Am Hals mit angewinkeltem Plektrum die Saiten "durchdrücken". So lange probieren, bis der Ton so ist, wie er sein soll und dann damit lange spielen.

Dann ist es an der Zeit, einen funkigen Sound zu spielen - und Finger weg von Potis und Schaltern!! Eher Richtung Steg anSCHLAGEN, Plektrum vielleicht weicher halten, damit es "klatschiger" klingt.

Dann brettern. Und dann rotzen. Und dann - ach, fuck, probieren. Und dann kommt die Königsdisziplin: Bewusst zwischen den Sounds zu wechseln. Beim Üben. Und dann darf man auch gern mal ein wenig schalten.

Und dann ist es wie beim Fahrrad- oder Autofahren. Man entscheidet nur noch, um die Ecke zu fahren. Dann wird nicht mehr überlegt, wie man kuppelt, Gas gibt oder schaltet oder gar das Gleichgewicht hält. Das macht dann irgendwann das Kleinhirn.

Beim Üben höre ich immer noch hin und spiele sehr bewusst. Beim Spielen höre ich eher "den Ton im Kopf" und lasse mein Kleinhirn den Rest machen. Das kann das nämlich besser als ich.

Mein Aha-Erlebnis hatte ich bei einem Gig. Ich spielte das Intro und die erste Strophe, dann den Refrain und - fuck - dann hatte ich überhaupt keine Ahnung, wie dieser wunderschöne Song jetzt weitergehen würde. Ich entspannte mich, ließ Kleinhirn und Finger machen und hörte dem Ganzen zu. Klar, Refrain danach, dann der C-Teil und so weiter und so fort. Ich wusste ungelogen bis zum letzten Ton bei jedem Teil nicht, was danach kommen würde. Kleinhirn und Finger schon.

Zweites Aha-Erlebnis: Irgendwann habe ich mal bei einer Session gespielt. Den Scheiß irgendwie laufen lassen - ihr kennt das. Dann fragte mich einer, wie das mit dem Chicken-Picking geht.

Was?


Okay, ich hatte zwar geübt, neben dem Plektrum auch mal den Mittelfinger der rechten Hand zum Zupfen mit einzusetzen. Nur - so richtig bewusst hatte ich das nicht gemacht. Ich habe mir mal später selbst auf die rechte Hand gesehen und gemerkt, dass ich das tatsächlich tue. Besser gesagt: Mein Kleinhirn hat das gemacht.

Ich habe eine ganze Auswahl an Slides und einen, einen ganz bestimmten Sound, den ich für Slides haben will. Es gibt Slides, die diesen Sound quasi eingebaut haben. Ein Slide, der ansonsten praktikabel ist, wirft diesen Sound eben gerade nicht so einfach raus. Ich muss kurz daran denken, wie ich meinen Sound haben will - und dann ist er da.

Der Trick ist: Lange bewusst üben. Großhirn. Und dann laufen lassen. Kleinhirn. Und je weniger Kleinhirn für die reine Technik gebraucht wird, desto mehr hat das Großhirn Kapazität, sich um den Ausdruck zu kümmern. Und dann viel weniger denken.

Gruß

erniecaster
 
Kleinhirn an Großhirn....was ist mit deinen Tönen passiert...
GH an KH: der Chef will die so......KH an GH: der leidet wohl an Geschmacksverirrung...

O an GH + KH: ich bin der Chef, kümmert euch um euren Job -> aufnehmen und verwerten..... ;-)
 
Moin Jörg!
Pfälzer:
- Wie kommt/kam bei euch der Sound in die Finger ?

Durch homöopathische Verreibung.. :p
..also viele Jahre des Spiels auf der Gitarre und nach einigen Jahren des oftmals sinnbefreiten Gedudels in Rock und Fusionskapellen dazu übergehen, sich und anderen aufmerksam zuzuhören. Meist kommt man dann zu dem Schluß viel zu viel gespielt zu haben und davon dann noch 90% schrottig, unsauber oder zum falschen Zeitpunkt abgelassen zu haben. Dann als Konsequenz lernen die guten 10% zu steigern.

Atmen, hören, sich in die Noten fühlen und durch sie zu sprechen und zu singen. Automatismen und Licks vermeiden. Einen guten Geschmack entwickeln und das Spiel anreichern mit allem was man mag. Viel von anderen lernen und dies in das eigene Spiel einbeziehen ohne zu kopieren.


Pfälzer:
- Ab wann habt ihr gemerkt, dass ihr auf jedem Equipment ähnlich und trademarkverdächtig klingt ?

Meine Frau und die Bandmitglieder fragten mich verwundert, warum ich - egal welche neue Gitarre um meinen gesalbten Körper hing - ich doch immer gleich klinge und ich die ganze Kohle nicht lieber versaufen oder verurlauben würde?!?! Mittlerweile frage ich mich das auch!


Pfälzer:
- Und was habt dafür getan, dass dem so ist ?

Siehe oben.... Ich glaube, hilfreich ist es, einen guten Grund zu haben eine Note zu spielen. Vielleicht hat man dann was zu sagen, ansonsten lieber mal die Klappen bzw. die Saiten halten.

Grüße aus Mittachspausenhausen!
 
mr_335":1cesv86l schrieb:
M
Durch homöopathische Verreibung.. :p
.

Meist kommt man dann zu dem Schluß viel zu viel gespielt zu haben und davon dann noch 90% schrottig, unsauber oder zum falschen Zeitpunkt abgelassen zu haben. Dann als Konsequenz lernen die guten 10% zu steigern.

Atmen, hören, sich in die Noten fühlen und durch sie zu sprechen und zu singen. Automatismen und Licks vermeiden. Einen guten Geschmack entwickeln und das Spiel anreichern mit allem was man mag. Viel von anderen lernen und dies in das eigene Spiel einbeziehen ohne zu kopieren.

Wow!
Das trifft genau meine Einstellung dazu!

Man sollte noch ergänzen, dass das nicht leicht ist. Ich persönlich muss mich dazu immer wieder antreiben, aber es lohnt.

Gerade das Atmen ist wichtig! Wenn man atmet beim Spielen, verkrampft man nicht und man "spricht" quasi. Wenn ich einen Satz sage, so atme ich aus, in der Pause hole ich Luft. Dann der nächste Satz. Auch rhythmisches Spiel sollte man so handhaben.

Eine Sache noch: Abi v. R. hat es in seinem Buch In Vivo Guitar so schön formuliert. Das Problem sind nicht die fehlenden Optionen , sondern eher die im Übermaß vorhandenen. Man sieht den
Wald vor lauter Bäumen nicht. Technik, Tonmaterial, Rhythmik....

Man sollte immer mit kleinen Teil-Bereichen bewusst "arbeiten". Was braucht ein Blueser oder Rocker einen "Einlauf" über die "alterierte Skala"?
Klar, auch die ist durchaus kein schlechtes Vehikel in der Improvisation, aber sie nur um deswegen zu lernen um eine weiter Option zu haben? Ich weiß nicht...

Allein mit den "popeligen" 5 Tönen der Pentatonik kann man soooo massig viel anstellen.

Über Trademark und Sound in den Fingern sollte man nicht nachdenken müssen, meine ich.
 
mr_335":5rc2casx schrieb:
Automatismen und Licks vermeiden.
Gute Güte! NEIN! Davon lebe ich mindestens eine Hälfte des Abends! Ich bin aber auch Handwerker und kein Künstler. :oops:
Was ist übrigens so verwerflich daran, mit Klischees um sich zu werfen? Das olle Elmore James-Lick von "Dust my Blues" funktioniert auch heute noch bestens!
mr_335":5rc2casx schrieb:
Einen guten Geschmack entwickeln und das Spiel anreichern mit allem was man mag. Viel von anderen lernen und dies in das eigene Spiel einbeziehen...
und auf jeden Fall genauso klauen wie die anderen auch. Das hat eine lange Tradition, die ich nicht unterbrechen möchte! :lol:
mr_335":5rc2casx schrieb:
Ich glaube, hilfreich ist es, einen guten Grund zu haben eine Note zu spielen. Vielleicht hat man dann was zu sagen, ansonsten lieber mal die Klappen bzw. die Saiten halten.
Darum bemühe ich mich schon geraume Zeit, und mittlerweile klappte es ganz brauchbar. Aber leider nicht immer :oops:
 
mad cruiser:Gute Güte! NEIN! Davon lebe ich mindestens eine Hälfte des Abends! Ich bin aber auch Handwerker und kein Künstler. Embarassed
Was ist übrigens so verwerflich daran, mit Klischees um sich zu werfen? Das olle Elmore James-Lick von "Dust my Blues" funktioniert auch heute noch bestens!

Ja ja - für nen ollen Rock 'n Roll Haudegen wie dich geht das, zu dem Du ja schon länger auf der Bühne bist, als der ganze Elmore James Spaß existiert und zudem bist Du ja auch schnöder Dienstleister :tomato:

Und jetzt schnell weg....
 
mad cruiser":2t3dr071 schrieb:
mr_335":2t3dr071 schrieb:
Einen guten Geschmack entwickeln und das Spiel anreichern mit allem was man mag. Viel von anderen lernen und dies in das eigene Spiel einbeziehen...

und auf jeden Fall genauso klauen wie die anderen auch. Das hat eine lange Tradition, die ich nicht unterbrechen möchte! :lol:

Das ist m.M.n. sehr wichtig um ein wenig flexibel zu sein und auf vielen Baustellen arbeiten zu können.

Jörg ich hab mir mal angehört was du bei deinem neusten Projekt Sonochrome so alles eingebaut hast. Find ich toll und das hat ja nun gar nix mit dem zu tun, was du die Jahre vorher so gespielt hast. Ich hab dich dort auch nicht erkannt, egal wie genau ich hingehört habe :lol:

Sowas würde mir auch mal wieder Spaß machen ;-)
 
Licks finde ich voll ok...v.a. wenn man das Gefühl hat, es sind die eigenen (Betonung liegt auf dem Gefühl)...
ansonsten genau hinhören was man spielt (Tipp: aufnehmen) daran arbeiten, aber nicht alles glätten und perfektionieren, dadurch rationalisiert man nämlich die "persönliche Note" irgendwann auch weg....ich finde es Unsinn zu behaupten, Licks sollte man meiden...jeder, nur erdenklich große Gitarrist hat sein Lickrepertoire.....auf das er gut und gerne, v.a. in der freien Impro zurückgreift.

Im Ton soll man imho die Leidenschaft des Players durchhören...ich finde das WIE ist wichtiger als das WAS, vor allem wenn es um die Frage des Tons geht....Das ist wie bei jeder Kommunikation -> nur im Forum schwer möglich ;-) . Leidenschaft hat auch viel mit "Vertrautsein" zu tun, wer versucht ist , sich ständig neu zu erfinden hat irgendwann ein Basisproblem....

Player wie Moore, Van Halen, Santana, Lukather und Knopfler erkennt man nur an einem TON....das mag die Kunst sein....und jeder von denen ist letztlich seinem Stil treu geblieben....aber schon sind wir wieder in der Geschmacksecke, Santana ist ein markanter Gitarrist, gefallen muss er einem natürlich nicht.... :lol:

LG
oli
 
ollie":1vrhkz0u schrieb:
wer versucht ist , sich ständig neu zu erfinden hat irgendwann ein Basisproblem....
.... ich habe da eigentlich abweichende Erfahrungen gemacht: wer versucht, sich ständig neu zu erfinden, gelangt zu seiner Basis. Die Basis ist die Fläche, die dem Versuch widersteht :lol:

in deiner kleine Liste fällt mir auf, dass ich gerade Knopfler als jemanden empfinde, der sich durchaus immer wieder neu erfindet (anders als etwa Santana, bei dem ich schon den Eindruck habe, seine typischen Phrasierungen machen ihn wiedererkennbar)

Ein wirklicher "Ton"-Kandidat ist BB King, schon deshalb, weil er das bis zum Abwinken (... nagut, meine erste Wortwahl war "Erbrechen" .. :cool: ) ausreizt.
 
ollie:...ich finde es Unsinn zu behaupten, Licks sollte man meiden...jeder, nur erdenklich große Gitarrist hat sein Lickrepertoire.....auf das er gut und gerne, v.a. in der freien Impro zurückgreift.

Na ja, ich meine, man sollte damit sorgsam umgehen. Es gibt Gitarristen, da hört man mehr Beck, Lukather oder Satrivai etc als sie selbst und das hat oft mit der 1:1 Verwendung von Licks und Trademarks Dritter zu tun. Wenn man sich die Licks einverleibt, färbt und nach seinem Gusto verändert wird daraus ab und an was wie Musik. Und na ja, im Grund will ich Musik machen und keine Licks oder kleinen Ideen anderer spielen. Zumeist kommt das ja eh vorallem in der Improvisation vor und die wird immens überbewertet.
Gitarristen haben da so einen merkwürdingen "Abspritzwahn" ...
 
mr_335":21yk53oe schrieb:
Gitarristen haben da so einen merkwürdingen "Abspritzwahn" ...
...wohl wahr!

Vielleucht kann man die Sache mal umdrehen. Was sind denn Licks? Feste Tonfolgen oder Spielpatterns die öfter auftauchen. Dreht man's um, müsste man sagen: spiel was was noch nicht vorher gespielt wurde. Ich behaupte mal: so gut wie unmöglich. Es gibt 12 Töne, da ist die Menge der möglichen Tonfolgen begrenzt.

Wichtiger als die Innovation im Sinn von "noch nie dagewesen" finde ich die Innovation im Sinn von "klingt schön" / "ausdrucksstark" / "kurzweilig zum zuhören". Dafür ist mir völlig egal, ob das Lick von mir erfunden wurde oder von meinem alten Kumpel Larry (lies: Steve, Joe, Eddie, whoever...). Langweilig sind Licks (oder auch spontane Tonfolgen) die keinen Aha-Effekt auslösen, nicht schön klingen oder nichts ausdrücken. Und ein Solo, das völlig im Stil von Steve Lukather gehalten ist, weil es ähnliche Patterns und Trademarks benutzt, kann sehr ausdrucksstark und genau die richtige Wahl sein.
Wenn ich einfach nur vorgefertigte Läufe von Lukather nachdudle klingt das vielleicht genauso langweilig, wie wenn ich selbst ausgedachte Läufe immer wieder runterdudle.
Also: Hauptsache passend und geschmackvoll, von wem die Ur-Idee kam, ist mir wurscht. Entweder man ist ein Picasso an der Gitarre oder nicht. Und wenn nicht, ist man schlicht und einfach ein Wiederkäuer. Muh!
 
ollie":f7krc9vh schrieb:
Player wie Moore, Van Halen, Santana, Lukather und Knopfler erkennt man nur an einem TON....das mag die Kunst sein

An welchem?
;-)


therealmf":f7krc9vh schrieb:
Es gibt 12 Töne, da ist die Menge der möglichen Tonfolgen begrenzt.

Hmm, ja?
Bei einer 5-tönigen Phrase (klassische Blueslick-Länge) hättest Du schon 5^12=244.140.625 Möglichkeiten, unterschiedliche Töne hintereinander zu spielen.
Das ist schon viel.
Das schafft selbst Ingwer Mahlstein im Leben nicht.

Viele Grüße,
woody
 
therealmf":bjo2q36q schrieb:
Wenn ich einfach nur vorgefertigte Läufe von Lukather nachdudle klingt das vielleicht genauso langweilig, wie wenn ich selbst ausgedachte Läufe immer wieder runterdudle.

was den einen langweilt, begeistert den anderen...
ruhig Mut, das zu tun, was einen selbst nicht langweilt!!!
Dann kommt das Herzblut dazu und DAMIT der Ton.

Musik hat keinen isolierten Wert sondern nur den Wert, den man beim Spielen bzw. Hören selbst empfindet.

So in etwa verstehe ich dich und stimme dir dabei zu... ;-)

Woody":bjo2q36q schrieb:
ollie":bjo2q36q schrieb:
Player wie Moore, Van Halen, Santana, Lukather und Knopfler erkennt man nur an einem TON....das mag die Kunst sein

An welchem?
;-)


Viele Grüße,
woody

an der gezogenen kleinen Sept zum Grundton.... :p
(ich glaube in der Tat, dass dies der häufigste Soloeinstieg ist)....und damit ein vergleichbarer Ansatz

wenn man sich ein bißchen abheben möchte, wäre ein guter Ansatz, die Soli einfach mal anders aufzubauen und zu arrangieren.

@rolli: Abspritzwahn ist gut.....das ist nicht Musik sondern Abrocken und Einreissen und ich finde, das ist u.a. das schöne daran.... :-D (wenn man zum Thema wieder zurückfindet - blöd finde ich nur, wenn es KEIN Thema gibt)
 

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